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Heimatgefühle - unsere ersten Schritte in Europa

Wo unsere Körper bereits gestern Morgen angekommen sind, kommt auch der Geist so langsam hinterher. Die Betonung liegt auf langsam. Angekommen? Angekommen. In den Hemisphären der Europäischen Union. Im alten Griechenland. In Athen.


Nach 225 Reisetagen auf der asiatischen und arabischen Landmasse haben wir unseren Heimatkontinent wieder erreicht - wir sind erschöpft, erleichtert und hin- und hergerissen zugleich, hegen Frühlings- und zarte Heimatgefühle, haben eine Mission zu erfüllen und bekommen einen ersten Eindruck von der griechischen Herzlichkeit.

Erschöpft? Die Tropen und das heiße, schwüle Klima haben uns ein wenig zugesetzt. Aktivitäten waren während des letzten Monats nur eingeschränkt und wenn mit einiger Anstrengung und ordentlichem Schwitzen möglich. Draußen heiß (oft über 35 Grad), drinnen (oft zu) kalt - Klimaanlagen haben dazu geführt, dass Anja immer wieder mit verstopften Nasennebenhöhlen und einem dicken Kopf zu kämpfen hatte. Viele Ortswechsel haben unsere Reise auf der malaysischen Halbinsel geprägt und wir "mussten" uns stets neu zurecht und einfinden. Und grad stecken uns noch die Nachwirkungen des langen Fluges und der Zeitverschiebung (Singapur/Malaysia ist der griechischen Zeit uns 6 Stunden bzw. der mitteleuropäischen Zeit 7 Stunden voraus) in den Knochen. Wir haben es in der ersten Nacht sehr genossen, mal wieder mit frischer Luft, angekipptem Fenster, einer bezogenen Bettdecke und ohne Klimaanlage schlafen zu können.

 

Erleichtert? Hier ist das Stichwort ganz klar: Wir haben den 12-stündigen Langstreckenflug von Singapur gut überstanden.

Beim Buchen des Fluges plagten uns große Zweifel - Preis (265 Euro pro Person inkl. 20 Kilogramm Gepäck / 10 kg Handgepäck)  und Datum überzeugten; den Berichten und Bewertungen zufolge sei Fliegen mit Scoot, der Billigableger von Singapore Airline und mit Ryanair vergleichbar, aber  kein Verknügen und nur bedingt zu empfehlen. Bordunterhaltung gibt es nicht, ebenso muss Verpflegung teuer hinzugebucht (30 Euro für ein Verpflegungspaket) bzw. auf dem Flug erworben werden. Getränke und Essen dürfen angeblich nicht mit an Bord gebracht werden. Wir erwarten also das Schlimmste, als wir uns auf den Weg zum Flughafen machen. Die Aussicht, 12 Stunden eingepfercht und hungrig oder durstig zu sein, lässt uns wenig euphorisch auf den anstehenden Flug blicken. Am Check-In erleben wir dann die erste Überraschung: Statt des elektronischen Check-Ins werden wir am Schalter für "Hilfebedürftige" abgefertigt. Hilfebedürftig sind wir deshalb, weil wir auf Nummer sicher gehen wollen, nebeneinander zu sitzen. Der elektronische Automat kann dafür nicht garantieren, die Mitarbeiterin am Schalter hat jedoch alle Möglichkeiten (die sie wohlwollend nutzt), uns die entsprechenden Tickets auszustellen. Wir sitzen nicht nur zusammen - sondern auch noch am Fenster. Wunderbar! Unser Erfindungsreichtum was die Sache mit dem Trinkwasser an Bord angeht, wird von einer der Security-Damen bereichert: Um auf Nummer sicher zu gehen, dass wir Wasser mit an Bord nehmen könnten, sollten wir einfach im 24-Stunden-Minimarkt Seven Eleven Wasserflaschen kaufen und uns diese in einen entsprechend verschweißten Duty Free Beutel packen lassen. Den wird man uns auch beim letzten Security-Check am Eingang des Gates (also bevor es ins Flugzeig geht) nicht abnehmen. Gute Idee - das machen wir so. Am Singapurer Flughafen in Terminal 2 wäre diese Maßnahme gar nicht nötig gewesen, da sogar noch ein Trinkwasserspender im Wartebereich des Gates bereit gestellt wird. Dieser wird reichlich genutzt. Mit Getränken und Verpflegung ausgestattet sind wir bereit für die lange Reise, die um 03.00 Uhr in der Nacht vom 16. auf den 17. März beginnt. Unser Eisenvogel ist ein brandneuer Dreamliner: 3-3-3 Sitze pro Reihe, dünne Polster (=relativ viel Beinfreiheit), zurückklappbare Lehnen, flexible Armlehnen und über Knopfdruck abdunkelbare Scheiben (manuelle Blenden gehören den älteren Modellen von Flugzeugen an - heute sorg ein elektrisches Gel für Tageslicht oder Dunkelheit). Wir steigen ein, verstauen unser Handgepäck und ziemlich bald nach Abflug fallen uns die Augen zu. Bei einem Filmchen auf dem Laptop, Blicken über die verschneiten Berge der Osttürkei (nehmen wir an), Frühstück und noch ein paar Runden dösen vergeht die Zeit relativ schnell und schon bald kündigt der Kapitän den bevorstehenden Landeanflug auf Athen an. Unsere Befürchtungen über die Billig-Airline waren also umsonst. Die Erfahrung zeigt mal wieder, dass Bewertungen im Netz zwar durchaus hilfreich sein können, am Ende aber alles von den Menschen, die für die Abwicklung vor Ort zuständig sind, abhängt und man selbst Erfahrungen sammeln muss. Positve Bewertungen und Erlebnisse werden weitaus weniger kundgetan als negative Erlebnisse. Meckern ist einfach - ein Lob auszusprechen scheint hingegen oft überflüssig. Wir danken der Crew beim Verlassen des Flugzeuges und können kein böses Wort über Scoot verlieren.

 

Hin- und Hergerissen? Europa hat uns wieder. Wir sind der Heimat ein gutes Stück näher gekommen und doch noch 2.500 Kilometer entfernt. Was nun auf uns zukommen wird, ist eine gänzlich andere Form des Reisens (mit der wir schon länger geliebäugelt haben): Statt Rucksack, Reisetasche, Zug, Bus oder mit Wanderschuhen sollen uns Zweiräder und möglichst minimalistisches Gepäck nach Hause bringen. Nach Hause. Schon seit längerem fallen diese so einfachen Worte immer mal wieder und in letzter Zeit auch häufiger. Wir freuen uns auf bekannte Gesichter und Umgebungen. Wissen aber auch, dass mit dem Ankommen wieder Pflichten auf uns warten ... 

 

Heimatgefühle. Ein bisschen hat sich unsere Ankunft in Athen (und das, obwohl es für uns eine fremde Stadt ist) wie nach Hause kommen angefühlt. Am Bussschalter am Flughafen zahlten wir das erste Mal wieder mit Euros. Zahlen mit Euros? Ganz schön teuer. ;-) 12 Euro müssen wir für die etwa einstündige Fahrt vom Flughafen in die Stadt berappen. Aber sei es drum ... wir werden uns wieder an das europäische Preisniveau gewöhnen müssen und mit einem Lächeln an die Spottpreise in Indien und Nepal zurückdenken. Am alten Olympiastadion werden wir von Erasmia herzlich in Emfang genommen. Sie ist unsere AirBnB-Gastgeberin und vermietet eine schnuckelige, gemütliche, ruhig und zentral zugleich gelegene, farbenfrohe, kleine Wohnung. Schon beim Betreten der Wohnung fühlen wir uns wohl - unsere für die nächsten drei Nächte eigene vier Wände mit einer kleinen, gut ausgetatteten Küche, großen Fenstern und kleinem Balkon. Als Erasmia uns die Küche zeigt, werden wir mehr als positiv überrascht: Im Kühlschrank warten bereits Tomaten, Oliven, Frischkäse, frische Milch und andere Leckereien auf uns. Ein Obstkorb schmückt die Anrichte und in den Schränken stehen Kaffee, Tee, Olivenöl, ... zur Nutzung bereit. Was für eine Ankunft! Unsere hungrigen Mägen schlagen Purzelbaum und wir beglücken uns bei einer Tasse frisch gebrühtem Kaffee mit Milch zu unserer Ankunft im alten Europa. Haben wir die letzten Monate vornehmlich von vegetarischer Kost, Nudeln, Reis und Linsen gelebt, gibt es am späten Nachmittag zünftig deutsch Pellkartoffeln, Gehacktes und einen griechischen Salat mit frischem Feta aus der Theke. Unser erster Einkauf im Supermarkt um die Ecke lässt unsere Augen ganz weit und unsere Münder ganz wässrig werden: Eine große Käsetheke, frische Milchprodukte und eine große Auswahl an Vino lassen unsere Herzen höher schlagen. Der Feta lagert in Holzfässer, das Rinderfleisch fürs Gehackte wird vom Metzger frisch durch den Fleischwolf gedreht. Und sollen wir noch erwähnen, dass es beim Bäcker regaleweise Brot mit knuspriger Kruste gibt? Ihr werdet nur die Schulter zucken und sagen - aber in Deutschland gibt es doch erst wieder "richtiges" Brot. Wir aber sind im Schlaraffenland gelandet.

Stadtspaziergang und Frühlingsgefühle. Heute Nachmittag haben wir uns bei frühlingshaften Temperaturen und Sonne-Wolken-Mix aufgemacht zu einem ersten Spaziergang durch die Stadt. Ohne Ziel und Route starteten wir am alten Olympiastadion und durchquerten die National Gardens. Durch ein Gewirr aus Gassen, Lokalen (es wird oirdentlich gebuhlt um die Gunst der Passanten) und Souvenirgeschäften näherten wir uns dem Hügel, auf dem die Akropolis schon seit Jahrtausenden steht- hoch über dem Häusermeer. Auf einem kleinen Pfad winden wir uns in Richtung Akropolis hinauf und erfreuen uns an der Weitsicht, die sich eröffnet. Viele Spaziergänger und Sonnenhungrige sind an diesem Nachmittag unterwegs. Ab und zu haben wir das Gefühl, dass uns Bekannte entgegenkommen. Die Menschen um uns herum sehen so vertraut aus, wie schon lange nicht mehr. Unter die unzähligen Athener mischen sich viele Touristen. Hier und da schnappen wir immer wieder "unsere" Sprache auf und es wird uns bewusst, dass wir uns im Sinne einer Flugreise ja nur noch einen Katzensprung von der Heimat entfernt befinden. Wir verstehen die Deutschen und die Deutschen verstehen uns. Als wir bei einem Lokal auf die Speisekarte schauen, wird uns bewusst, dass uns nicht nur die Deutschen verstehen, sondern höchstwahrscheinlich auch viele Griechen. An unserer Kommunikation miteinander ("Das ist zu teuer" oder "So teuer ist es ja gar nicht") müssen wir also ein wenig feilen. Das Gefühl, eh nicht verstanden zu werden und im geheimen verbal kommunizieren zu können (wie es die letzten Monate seit Verlassen Russlands der Fall war), müssen wir beiseite schieben. In Athen hält der Frühling gerade erst Einzug: Dicke Knospen zieren die noch unbegrünten Büsche, einige Bäume tragen schon ein üppig rosa oder weißes Blütenkleid. Mit dem Griechenland-Lonely-Planet auf dem Schoß sitzen wir auf einem glatt polierten Stein an einem Aussichtspunkt und blicken auf die Säulen der Akropolis, die Agora und Athen. Vom Stadtbild her erinnert uns die griechische Hauptstadt ein bisschen an Kathmandu - mit dem modernen Kuala-Kumpur und Singapur hat Athen wenig gemeinsam. Hier und dort machen wir Kirchen und Ausgrabungsstätten aus. Uns ist bewusst, dass wir (noch) wenig über die Stadt wissen, haben aber auch keine Energie, uns einzulesen. Für heute dürfen die alten Steine gerne einfach nur mal alte Steine sein. Wir sitzen in der Sonne und genießen den Moment. Versuchen, die Gedanken und die Seele dahin zu holen, wo sich unsere Körper bereits befinden.

Der Weg zurück führt und durch die trubelige Altstadt. An Touri-Nippes mangelt es nicht und wir erkennen Parallelen zu unserer "gewohnten" asiatischen Umgebung: Indische Bettüberwürfe wollen neue Besitzer finden und Kokosnüsse (nicht frisch als Saft, sondern getrocknet als Nuss) verspeist werden. Roller (mehr als in Kuala-Lumpur und Singapur zusammen) und sogar ein motorisiertes und hoch beladenes Piaggio knattern durch die engen Straßenschluchten. Die Außensitzplätze der Cafés, Bars, Tavernen und Restaurants sind fast ausnahmslos besetzt. Es wird gelacht, getratscht und üppig aufgetafelt: Große Platten mit Salat, Broten und Fleisch. Manus Augen werden beim Anblick der Spieße und Gyrosgerichte ganz groß. In der Mitte der Tische stehen (obwohl es erst Nachmittag ist) große Flaschen Ouzo. Die Menschen wirken ausgelassen. Eigentlich wollten wir unterwegs noch einen Kaffee trinken. In Ermangelung eines freien Platzes im Sonnenschein oder dem Gefühl, mit Outdoorkleidung nicht zu den schicken Athenern (Frauen tragen Lederjacken und Stiefel - oft in schwarz) zu passen, landen wir mit unserem Kaffeedurst auf dem Sofa in unserer kleinen Wohnung. Hier fühlen wir uns wohl und heimelig.

Auf Mission. Manu braucht noch einen vernünftigen Drahtesel, der ihn mit Freude die kommenden Wochen und vielleicht auch Jahre durchs Leben begleiten wird. Ein erstes, vielversprechendes Geschäft haben wir gestern bereits aufgesucht - leider mit mäßigem Erfolg. Das Rad, welches Manu im Auge hatte, überzeigte zwar durch die Bewertungen im Internet, nicht aber durch eine Probefahrt (ungewohnte Lenkerposition und somit Sitzhaltung). Da konnte uns auch Steve, der mit Eifer, Leidenschaft und Inbrunst über die Anatomie des menschlichen Körper und die zum Radfahren (oder besser gesagt jede Sportart) dazugehörige Disziplin und mentale Stärke (am Ende des Gespräches verriet er uns, dass er studierter Psychologe ist) referierte, nicht zur Kaufentscheidung überzeugen. So geht die Suche also morgen, am Montag weiter. Manu hat bereits ein neues Modell von Rad im Blick ... wer suchet, der findet. Und Anjas Gefährt? Das wird am Dienstag-Abend von ihren Eltern nach Athen eingeflogen,

Zufall oder Zeichen? Heute Nachmittag trafen wir auf dem Platz vor dem Zappaion auf ein fahrradfreudiges Trüppchen, die mit aus Eschenholz gefertigten Rädern kommende Woche vom südlichsten Punkt Griechenlands (Gavdos, eine kleine Insel südlich von Kreta) starten, um 3,5 Monate später das Nordkap zu erreichen. Etwa 100 km pro Tag wollen die Freaks auf den Coco-Mat-Bikes zurücklegen. Wir drehen eine Proberunde auf den ungewöhnlichen Gefährten und werden eingeladen, uns der Truppe anzuschließen. Kommt mit uns! Einfach so? ... unsere Gedanken rattern kurz. Das Unterfangen scheint durchaus spannend (aber auch SEHR sportlich - selbst die Sättel sind aus Holz gefertigt und das Rad verfügt gerade mal über zwei Gänge) und wir erfahren, dass es ein gemeinschaftliches Projekt vom Hersteller Coco-Mat, der Uni und des griechischen Tourismusministeriums ist. Zumindest zum Abendessen sollten wir doch am Abend vorbeischauen. Um 19.00 Uhr im Coco-Mat-Hotel. Man verspricht uns viel gutes Essen, Ouzo und herzliches Beisammensein. Diese Einladung können wir an Ort und Stelle noch nicht ausschlagen, doch wie ihr lest, sind wir ihr nicht gefolgt. Wir haben uns für eine Flasche Wein zu Hause entschieden, sind von der Freundlichkeit der Griechen jedoch schon am zweiten Tag überrascht. Gestern ließ man uns ohne Ticket Bus fahren (wir lernen, dass es dieses nicht beim Busfahrer zu kaufen gibt, sondern nur an Metrostationenen und ausgewählten Kiosken), der Kontrolleur vom Typ Schwiegermutter-Liebling erklärte uns ebenfalls verständnisvoll "diesmal frei". Wir sagen "Danke" für diese Begegnungen und das Gefühl, irgendwie unter Gleichgesinnten zu sein.

 

 

 

 

 

 

 

Anja hat Abendessen gezaubert - griechische Nudeln mit Gemüse und Feta. Eine jungfräuliche Flasche Rotwein (die erste seit unserer Zugfahrt von Berlin nach Moskau im August letzten Jahres) soll es dazu geben. Wir füllen die Gläser und stoßen auf den neuen Abschnitt unserer Reise an. Auf dass wir einen zweirädrigen Gefährten finden! Auf die Bewegung! Und auf eine schöne Zeit mit Anjas Eltern!

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Kommentare: 2
  • #1

    Anne Linde (Mittwoch, 04 April 2018 08:41)

    Toll geschrieben! Unglaublich was ihr alles erlebt!

  • #2

    Anja (Samstag, 07 April 2018 07:17)

    Danke Anne. Manchmal können wir es selbst kaum glauben, dass wir die Gelegenheit am Schopf gepackt haben, uns auf den Weg zu machen. Grüße vom Peloponnes!