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Angkor - Weltkultur im Dschungeldickicht

,Es ist 4.45 Uhr am Morgen und der Wecker klingelt. Wir drehen uns noch einmal auf die andere Seite, dann stehen wir auf, obwohl es draußen noch stockdunkle Nacht ist und wir beide müde sind. Die Neugier hat Überhand gewonnen: Wo vor ein paar Tagen noch die Meinung "aber zum Sonnenaufgang pilgern wir nicht zu den Tempeln" herrschte, wird sich nun angezogen, Wasser für eine Kanne Instant-Kaffee-zum-Mitnehmen gekocht und die Helme aufgesetzt. Mit einem kleinen Roller geht es hinaus in den frühen Morgen auf die noch fast leeren Straßen. Als wir auf die Ausfallstraße gen Norden kommen, reihen wir uns in einen Tross von Rikschas ein. Die Sonnenaufgangs-Pilgerer strömen nach Angkor, um das wohl berühmteste Motiv Südostasiens mit der entsprechenden Lichtstimmung am frühen Morgen mit den eigenen Kameras und Smartphones einzufangen. Wenn wir schon einmal da sind ... dann wollen wir es uns nicht nehmen lassen, das Spektakel mitzuerleben und wir werden nicht enttäuscht. Auf dem Areal vor dem namensgebenden Tempel Angkor Wat Tempel, dessen Fläche mehr als doppelt so groß wie die Vatikanstadt ist, scharen sich zwar die Frühaufsteher, aber auf der großen Freifläche findet ein jeder ein Plätzchen, um das Licht- und Schattenspiel zu beobachten. Um in die Pole-Position an den beiden Wasserbasains zu gelangen, bedarf es zwar einiger Schlängelei, aber unmöglich ist nix. Als große Europäer trotzen wir den kleinen asiatischen Menschen mit ihren Selfie-Sticks und Stativen.

Obwohl wir noch immer auf ausgetretenen und viel besuchten Pfaden unterwegs sind, so sind es auch Pfade der Superlative, auf die uns das kleine Königreich Kambodscha führt. Angkor. Im Dschungel verborgen. Symbol auf der Flagge des Landes. Die mit 400 Quadratkilometern größte Tempelanlage der Welt. Wo früher zu Blütezeiten eine Millionen Menschen lebten, tummeln sich heute mehr als vier Millionen Besucher im Jahr. Auch wir sind zwei davon.


Wir haben 3,5 Tage Zeit mitgebracht, um die alten Gemäuer, die dicken Wurzeln, die pyramidenförmig geschichteten Steine zu erkunden, die Mönche in ihren orangenen Kutten und unsere reiselustigen Gleichgesinnten (vornehmlich chinesische Reisegruppen und sich von Rikschafahrern kutschierende westliche Touristen) zu beobachten und abzutauchen in die mystische und geheimnisvolle Welt der alten Könige.


Wenn wir in unserem Reiseführer lesen (unaussprechliche Namen und Jahreszahlen überspringen wir einfach), dann stellen wir uns vor, wie es wohl gewesen ist, als hier noch das Leben pulsierte. Haben die Tänzerinnen (eine schöner als die andere) hier getanzt? Wo wurden die 10 Tonnen Reis angeliefert, die täglich für die Versorgung der Stadt notwendig waren? Wie hat wohl damals die Vegetation ausgesehen? Was heute bewaldet und von gigantischen Wurzeln umschlungen ist, müsste vor einem Jahrtausend eine freie Fläche gewesen sein ... Wo kam das Baumaterial und welche Künstler haben all die Reliefe geschaffen? Angkor ermöglicht uns eine Reise in die Vergangenheit. Zwar haben wir viele Fragen, doch sind wir auch froh, unseren Besuch nach dem eigenen Tempo gestalten zu können und keinem Guide oder gar einer Reisegruppe folgen zu müssen. Verspricht der Reiseführer Großartiges, dann ist es gut möglich, dass wir nur einen kurzen Stopp einlegen, uns kurz umschauen und dann festestellen, dass uns hier zu viele (auf den Sonnenuntergang wartende) Menschen sind und wir fahren weiter. In zwei Kilometern kommt noch ein Tempel. Lass uns dahin rollen! Es sind wieder mal die (im Vorfeld wenig Hochgelobten) Orte, die uns überraschen. Überrascht waren wir zugegebenermaßen auch von den stolzen Einrtittspreisen: Für ein Drei-Tages-Ticket (innerhalb von 10 tagen an drei Tagen gültig) zahlen wir 62 Dollar pro Person. Somit ist Angkor die bis dato preisintensivste Sehenswürdigkeit, die wir während der gesamten Reise besucht haben. Ein kurzes Schlucken, dann zahlten wir den verlangten Preis (für "Tempel" erschien er uns ziemlich üppig zu sein zumal es letztes Jahr noch 40 Dollar waren).

Von A nach B?

Die meisten Besucher (so nehmen wir es zumindest wahr) erkunden Angkor im Rahmen einer Bustour oder in Begleitung eines Rikschafahrers, der die "wichtigsten" Tempel und Ziele ansteuert. Ggf. ist noch ein Guide mit an Bord. Wir wollen so unabhängig wie möglich sein und da ist schnell klar - es muss wieder ein eigenes Fahrzeug her. Doch was ist die beste Variante, um die zum Teil recht langen Wege zu bewältigen? Die Idee "wir radeln" wird uns durch Reise- und Erfahrungsberichte ein wenig versalzen - zu heiß sei es, um die Strecken zu bewältigen. Wir grübeln und recherchieren. Ist ein Roller die Lösung? Die Infos, die wir dazu finden, sind zweigeteilter Aussage: Polizisten halten Ausländer besonders gerne an, um sich ein paar Dollar extra zu verdienen.  Mal kommen Touris ohne unangenehme Zwischenstopps davon, mal müssen sie blechen. Und zwischen den Tempel wäre es eh verboten, weil ja sonst alle mit Rollern umherfahren würden. Als dritte Option kommt ein kleiner Elektro-Roller in Frage. Höchstgeschwindigkeit 24 Kilometer pro Stunde. Als wir am Tag unserer Ankunft um die Mittagszeit die Läden abklappern, haben wir Glück - wir erstehen zwei dieser Modelle für den Nachmittag für 5 Dollar/Gefährt. Ein paar Minuten später rollen wir vom Hof herunter und fühlen uns ein bisschen faul, uncool, alt und vorfreudig zu gleich. Auf geht's zur ersten Runde durch die Tempelanlage.

So inaktiv wollen wir den nächsten Tag nicht angehen. Nun von den Temperaturen nicht sonderlich überrascht (ja . es ist warm, aber Rad fahren sollte machbar sein) und nach einem ersten Eindruck über die Größenverhältnisse tauschen wir noch am gleichen Abend Elektro-Roller gegen herkömmliche, "ordentliche" Fahrräder und beglückwunschen uns schon am nächsten Morgen, nicht auf Rädern zu sitzen, die wahrscheinlich schon zu Zeiten der Entdeckung Angkors über die Pisten holperten (gibt es an jeder Ecke ab 2 Dollar/Tag). Ein Mountainbike für Manu und ein City-Bike für Anja schlagen für eine 24-Stunden-MIete mit 14 Dollar zu Buche, doch jeder dieser ist es wert. Wir können überholen und uns in den Verkehr einreihen. Schnell merken wir: Hier ist nicht der am stärksten motorisierte Verkehrsteilnehmer derjenige, der Vorfahrt hat, sondern die schnellsten.

 

Zu guter Letzt leihen wir für Erkundungen südlich der Stadt und für die Fahrt zum morgendlichen Sonnenaufgang dann doch noch einen Roller (10 Dollar für 24 Stunden inkl. 2 Liter Benzin). Das Ausleihen ist einfach, wir bekommen Schloss, Helme und die Bitte, einen nahe gelegegenen Kreisverkehr wg. den Polizisten morgens zu meiden, mit auf den Weg. Mit dem Roller machen wir einen Ausflug zum Schwemmland am Tonle-Sap-See. Dubiose Polizisten bleiben uns Gott sei Dank erspart.

Ein Hoch auf die Zweiräder, die Unabhängigkeit und die Flexibilität!

Egal für welche Variante man sich entscheidet - vom Grunde genommen erreicht man mit allen drei Optionen die Parkflächen vor den Tempeln und Ruinen. Von dort geht es dann weiter zu Fuß.

Neben Rikschas, Bussen, Autos, Rollern und Rädern sind an den Hotspots noch eine andere Spezie des Transportes unterwegs: Graue, vierbeinige, behäbige Dickhäuter. Als wir den ersten seiner Art durch den lichtdurchfluteten Park gehen sehen, staunen wir nicht schlecht. Die Tiere zu sehen, wie sie in der Sonne ausharren müssen, dämpft die Freude. Angkor mit einem Dickhäuter zu erkunden, hat seinen Preis: Vom Phnom Bakheng-Hügel hinab soll ein Ritt 20 Dollar kosten. Hinauf brauchten wir zu Fuß keine 15 Minuten. Fragwürdige Vergnügen lässt man sich ordentlich bezahlen -  der Service wird jedoch ausgiebig von vielen Touristen genutzt.

Im Reisegruppen und Menschenmengen ausweichen sind wir seit China quasi Experten. Ja - es sind viele, viele Tausende Besucher unterwegs, doch wir finden immer wieder ruhige Plätze und sind manchmal sogar ganz alleine... wer suchet, der findet. Bei der Frage "Wo verbringen wir die Zeit während des Sonnenuntergangs?" beobachten wir für uns Unverständliches: Es gibt im Kerngebiet Angkors nicht viele natürliche Erhebungen - um genauer zu sein, genau einen - den Phnom Bakheng. Dieser Hügel mit Tempel wird als DER Platz für Sonnenuntergang beschrieben und diesem Ruf folgen Unmengen an Menschen. Pech für die meisten, die die bewaldete Kuppe (hier steht ein Tempel mit Aussichtsplattform) erreichen - die Besucherzahl für den Tempel wurden auf 300 reduziert. Wir sind bereits 1,5 Stunden vor dem Sonnenaufgang auf dem Berg, um zu schauen, ob sich das Panorama auch wirklich ein mögliches Anstehen lohnt. Die maximale Anzahl der Tempelbesucher ist da bereits  ausgereizt. Die Schlange der Anstehenden wird sekündlich länger (wir schätzen, dass mindestens 150 Menschen auf den Einlass warten). Wir begnügen uns mit einem kurzen Fotostopp auf den hölzernen, kleinen Aussichtsplattformen (hier ist noch Platz), bevor wir wieder hinab zu den Rädern gehen: Entgegen kommen uns Prozessionen von Schaulustigen. Wir überlegen kurz, wie wir die erwartungsvollen Geister vor einer Enttäuschung warnen können. Ansprechen? Dafür sind es viel zu viele. Unten bei den Ticketkontrolleuren angelangt, versucht Manu mal wieder sein Glück im "Welchen Service wertschätzen Besucher?"-Dialog mit den Ticket-Jungs. Bei der Empfehlung "Sagt den Leuten doch, dass sie auf dem Phnom Bakheng keinen Sonnenuntergang erleben werden, weil die maximale Besucherzahl bereits lange ausgeschöpft ist", zeigen sie sich unverständlich, Das müssten die Kollegen am Tempel oben machen. Nicht sie. Was für uns so einfach und logisch erscheint, stößt auf taube Ohren. Wir sind halt keine einfachen Reisenden und versuchen unser Glück immer mal wieder - vermutlich sind schlicht von unseren Berufen hinsichtlich Servicequalität so geprägt, dass wir es schlicht als unsere Mit-Aufgabe ansehen, weitere Touristen glücklich zu machen ;-) Sonnenuntergangsstimmung bekommen wir an diesem Tag übrigens vor dem Angkor Wat-Tempel. Aber dazu mehr in unseren Angkor-Highlights.

Angkor - unsere Highlights

Sehen, wie sich die Natur ihren Platz zurückerobert und das von Menschenhand Erbaute so vergänglich ist
Am kleinen beschaulichen Preah Palilay in der alten Stadt Ankor Thom und im viel besuchten Tempel Ta Prohm (dieser wurde dank Lara Croft weltbekannt) ranken dicke Wurzeln riesiger Bäume über jahrtausendealte Mauern und Gebäude. Der Ta Prohm ist noch fast in gleichem Zustand, wie ihn die französischen Entdecker vorgefunden haben - ein  bis dato wenig restaurierter Komplex, in dem wir selber zu Entdeckern werden. "Inschriften zufolge war der Tempel ehemals ein königliches Kloster, welches 3140 Dörfer mit etwa 80.000 Bewohnern "besaß", die für den Unterhalt der 18 hohen Prister, 2740 Beamte nit 2200 Assistenten und nicht weniger als 615 Tänzerinnen beschäftigte."  Wir lesen diese Zeilen und staunen über die Dimensionen. Zur Blütezeit lebten eine Million Menschen in Angkor. Auch heute ist die Tempelanlage von kleinen Dörfern und Siedlungen durchzogen, in denen Kamdoschaner ein ganz normales Alltagsleben führen: Menschen arbeiten auf Feldern, bewirten in  Restaurants und Garküchen die Auswärtigen und leben vis-a-vis der alten Gemäuer.

Picknick und MIttagspause im schattigen Inneren des Preah Khan
In der ehemaligen Tempelstadt, die im späteres Verlauf der Geschichte als großes Kloster und buddhistische Universität diente, verbringen wir eine ausgedehnte Mittagspause. Verlässt man die Hauptwege, so ist man fast für sich alleine. Wir hören den in den Bäumen sitzenden Vögeln zu, essen unser mitgebrachtes Picknick (Baguette, Käse und Gemüse) und machen einen kleines Schläfchen.

Sonnenuntergang am östlichen Mebon
Nach einem ersten Sonnenuntergangs-Versuch am Pre Rup (hier sind uns eindeutig zu viele Menschen) hat es sich gelohnt, noch 1,5 Kilometer weiter zu fahren. Laut Reiseführer war dieser Tempel mal MIttelpunkt eines 7,5  x 1,8 km großen Sees - heute steht er inmitten von Reisfeldern und wird von Wächterelefanten aus Sandstein bewacht. Uns lassen die Wächter passieren und wir werden mit einer tollen Abendstimmung belohnt.

Barbusige, hübsche Tänzerinnen und Frauen en masse
Ganz besonders für Manu eine Freude :)  Während sich die Motive der Reliefs nach und nach wiederholen und wir uns fleißig darin üben, zu interpretieren und die im Reiseführer beschrieben Szenarien ausfindig zu machen, wird es mit den Damen nicht langweilig. Leicht bekleidete Männer suchte Anja vergeblich. Die alten Könige wussten schon, was ihnen gefiel...

Erklimmen der Pyramide des Baphuon
Es ist nur schwer vorstellbar, dass diese Ruine im Zuge der Restaurierung fast vollständig abgebaut und 300.000 Steine neu gesetzt wurden. Erst seit 2011 ist der Tempel wieder zugänglich. Wir erklimmen über steile Holztreppen Etage um Etage und genießen den Blick aus der Vogelperspektive. Auf der Westseite des Tempels hat sich ein riesiger in Stein geformter Buddha zu einer Ruhe niedergelegt.

Licht- und Schattenspiel vor und über der Silhouette von Angkor Wat
Auch wenn wir nur zwei von Unzähligen sind - das frühe Aufstehen hat sich gelohnt. Ebenso der Sonnenuntergang, welcher die fünf Türme in goldenem Licht erstrahlen lässt.

Zugänge zur Tempelstadt Ankor Thom
Die vier Tore in jeweils eine Himmelsrichtung ausgerichteten Stadttore sind mächtig und Respekt einflößend und es ist leicht vorstellbar, wie Stadtbewohner und Besucher über die jewils von 54 Göttern und Dämonen bewachten Brücken über den 100m breiten Wassergraben schritten, um ihre Hauptstadt zu betreten. Wir werden fast ein wenig ehrfürchtig, als wir unter den Toren, von denen vier riesiege Gesichter herabblicken, durchradeln.

Darüber hinaus haben wir noch einige Tempel mehr besucht - mal von der Nähe und mit Ausdauer, mal reichte uns ein Blick von der Ferne aus.

  • Bayon / Angkor Thom - Steingesichter blicken lächelnd in alle Richtungen
  • Die königlichen Terrassen / Angkor Thom - Reliefs, die vor Leben sprühen
  • Phimeanakas / Angkor Thom - eine dreistufige Pyramide (wir haben den alten Ägyptern und den Mayas ja noch keinen Besuch abgestattet, aber werden an ihre Bauwerke erinnert)
  • Buddhistische Klöster - geschmückte Buddhastatuen und Mönche allen Alters in organgenen Kutten gehören zum Besuch in Angkor dazu. Das Klosterleben erscheint und so viel weltlicher, als das der Mönche im Himalaya. Klöster mit farbenfrohen Schreinen haben am Angkor-Tempel ebenso ihre Daseinsberechtiguung wie die unzähligen Buden und Stände, an denen Getränke, billiger Schnick und Kleidung sowie Alkohol verkauft wird. Alkohol ja - kurze Bekleidung oder nackte Schulter nein. Freundlich werde ich dazu aufgefordert, ein Tuch um die Schultern zu legen. Tempel bleibt eben Tempel.

Für alle, die mehr Lust auf Tempelgeschichten haben: Auf ZDF gibt es eine TerraX-Folge über Angkor (auch über Youtube zu finden) - dort erfahrt ihr auch, warum es schlicht falsch ist, immer nur von "Angkor Wat" zu sprechen, da es "nur" ein Tempel von vielen im großen Areal von Angkor ist.

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