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Unter den Palmen von Goa - eine Weihnachtsgeschichte

Wir gönnen uns eine kleine Auszeit vom indisch, chaotischen, alle Sinne fordernden Wahnsinn. Wollen die Weihnachtsfeiertage und den nahenden Jahreswechsel ruhig angehen und die Seelen baumeln lassen. Am Strand spazieren. Uns vom salzigen Wasser umspülen lassen. Die Geschwindigkeit und den Staub der vergangenen Tage abwaschen lassen. Uns vor dem Frühstück in die Wellen werfen. Lesen. Unsere aufregenden Tage durch das bunte Kaleidoskop Rajasthan nachwirken lassen. Und dem Geist und den Augen mal wieder eine Pause gönnen.

 

Am 19. Dezember haben wir Rajasthan von Jodhpur hinter uns gelassen und uns per Inlandsflug innerhalb weniger Stunden hinab in den Süden befördert. Eine gute Entscheidung! Als wir das Gebäude am Flughafen Vasco da Gama verlassen, schlägt uns - obwohl bereits die Sonne untergegangen ist - eine  tropische Luft entgegen. Palmen und Bananen säumen die Auffahrt. Im üblichen Taxifahrer-Gewimmel dauert es nicht lange, bis wir ein jemanden gefunden haben, das uns nach Panaji, der kleinen, entspannten Hauptstadt des Bundesstaates Goa bringen wird, wo wir zwei Nächte bleiben, ehe es an die Strände im Süden geht.

 

Die kleine Stadt empfängt uns mit portugiesischem Charme und ja schon fast europäisch anmutendendem bekanntem Ambiente. Wir schlendern durch die kleinen Straßen mit den bunten Häusern, erfreuen uns an der bereits ausgepackten Weihnachtsdeko und den aufgehängten Weihnachtssternen und lauschen der Weihnachtsmusik, die aus einer Kirche klingt. Ungewohnt bei 30°, aber wir singen gerne "feliz navidad" in den Gassen mit. Wir besuchen ein Kunstfestival ("Serendipity"), was derzeit in der Stadt stattfindet und schauen uns einige kleine Ausstellungen und Installationen an. Dabei schlürfen wir Lassi, Smoothie und hippen Gurken-Minzsaft und kaufen eine saftig, süße Ananas auf dem Markt.

Abends sitzen wir auf einem Schemel vor einer kleinen Bar im portugiesischen Viertel, ein Fläschchen Bier in der Hand - die Szene könnte sich genauso im Süden Europas abspielen.  Später in einem kleinen, gut gefüllten und mit mehreren Auszeichnungen versehenden Lokal tasten wir uns an die Goa-Küche heran, wo vermehrt Fischspezialitäten und Gerichte mit Kokosnus angeboten werden. Erstere überlassen wir den Liebhabern, alles andere ist spannend und raffiniert neu kombiniert. Wo ist das Indien geblieben, welches uns die letzten Tage so auf Trab gehalten hat? Unsere Ankunft in Goa ist ein kleiner Kulturschock im positiven Sinne.

Wir verlassen die angenehme Stadt per Bus und haben Glück - mit etwas Durchfragen und Umsteigen mieten wir an einem Strandparkplatz einen brandneuen Motorroller für die kommenden 10 Tage. Wir sind endlich wieder unabhängig unterwegs - ein kleines, vorzeitiges Weihnachtsgeschenk an uns beide.


Nach Zehntausenden von Kilometern auf der asiatischen Landmasse sehen wir daraufhin zum ersten Mal das Meer und obwohl wir vorher unsicher waren, ob die Entscheidung denn wohl richtig war, über die Festtage nach Goa zu fliegen (dahin, wo scheinbar Gott und die Welt zu Weihnachten hinverschlägt), wissen wir bereits bei unserer Ankunft am palmengesäumten Talpona Beach: ja - es war die richtige Entscheidung.

So haben wir in diesem Jahr bereits am 21.12 alles bekommen, was wir uns zu Weihnachten gewünscht haben: Eine kleine Hütte an einem quasi unverbauten Strand mit Meerblick und kleiner Veranda. Hochsommerliche Temperaturen, kleine Wellen und sehr angenehme Wassertemperaturen. Mit nackten Füßen sitzen wir bei Kerzenschein im kleinen Strandlokal an einem Tisch im Sand - vor uns eine große Flasche Kingfisher-Bier, Linsen, Reis, Massala-Gemüse. Hier - am Talpona-Strand werden wir bis zum 1. Weihnachtsfeiertag bleiben.

Weihnachten fernab von Familie, Freunden und Vertrautem. Bringt eine Langzeitreise täglich viele bereichernde und aufregende Momente mit sich, so gibt es doch auch Tage und Zeiten, in denen wir uns wünschten, der Heimat ein Stück näher zu sein und am Geschehen nicht "nur" über Anrufe und Nachrichten teilhaben zu können. Natürlich ist die Kommunikation in den letzten  Jahren deutlich einfacher geworden - wir beide erinnern uns jeweils an die Weihnachten zurück, die wir damals in Australien (Anja) oder Brasilien (Manu) verbrachten. Die Weihnachtstage sind wohl insgesamt eine solche Zeit, in der es uns besonders ungewöhnlich erscheint, unterwegs zu sein. Jahre- und jahrzehntelange Traditionen finden zu diesem Weihnachtsfest ohne uns statt. Ein wenig Wehmut machte sich bei uns breit. Zur Ruhe kommen, heißt auch immer innezuhalten. Aus der Heimat erhalten wir Nachrichten wie "10 Tage Nieselregen", "Draußen stürmt es - wir sitzem gemütlich am Ofen" , "wir würden uns gerne zu euch gesellen".

 

Und wir? Wir verbringen viele Stunden im Schatten vor unserer kleinen Hütte und blicken hinaus aufs Meer, werfen uns direkt nach dem Aufwachen in Badesachen und hüpfen durch die Wellen und bereiten uns auf Heiligabend vor: Wir rollern entspannt zum kleinen Städtchen Canaconda gut 8 Kilometer von Talpona entfernt, erstehen einen weißen Papierweihnachtsstern, ein Früchtebrot vom Bäcker, frisches Obst, drei farbenfrohe Blumen und  zwei Flaschen Weißwein (so einfach und schnell erledigt waren die Weihnachtseinkäufe schon lange nicht mehr ;-)). Nun kann Weihnachten kommen!

Mit der Kolonialisierung Goas durch die Portugiesen, haben diese den christlichen Glauben mitgebracht. Weiß getüncht und gekalkte, dem "Bom Jesus" geweihte Kirchen prägen das Bild der kleinen Siedlungen und Ortschaften. So auch im Nachbardorf. Wir haben dort - auf der Suche nach einem geeigneten Platz fürs Weihnachtsessen am 24.12. - die Lokale, den Strand und die Kirche erkundet. Bei den Lokalen wurden wir schnell fündig, der Strand hat uns - unverbaut und (fast) menschenleer mit einem herrlichen Sonnenuntergang verwöhnt und junge Goaner, die gerade die Kirche schmückten,  konnten uns weiterhelten: Am 24.12 findet ab 23:00 Uhr die Mitternachtsmesse statt.

Am Heiligabend finden wir uns gemeinsam mit rund 400 festlich gekleideten Indern in der Kirche ein. Ein wenig beschämt über unser bescheidenes, funktionales Outfit, setzen wir uns trotzdem auf eine der noch freien Sitzbänke. Vor uns eine Frau in einem goldenen Sari, rechts von uns ein kleiner Junge, der auf dem Schoß  seine Oma sitzt und schon wie ein Großer in Anzug und Hemd gekleidet ist. Jeder scheint sich herausgeputzt zu haben und wir staunen nicht schlecht über die farbenfrohen und prächtigen Kleider und feinen grau-schwarz-blauen Zwirne der männlichen Wesen. Mit Gesang und Musik wird die Messe eingeleitet, Weihrauch wabert durch die Luft, die großen Ventilatoren kreisen über den andächtigen Köpfen. Die Türen der Kirche sind auf allen Seiten weit geöffnet und auch von draußen schauen viele Gesichter ins Innere. Leider können wir nur wenige Worte des katholischen Pfarrers erahnen - die Sprache hier ist Konkani. Das Liederbuch in romanischen Buchstaben können wir zwar "lesen" und es scheint eine Mischung aus Latein und Portugiesisch zu sein, aber es bleibt leider dennoch unverständlich. Vermutlich wird die Weihnachtsgeschichte erzählt, zumindest wirken die Vorleser genauso unsicher, vor einer größeren Menge zu sprechen, wie es jedes Jahr zuhause in der heimischen Kirche ist.


So driften unsere Gedanken ab und zu ab. Benebelt vom Weihrauch gesellen wir uns zu fortgeschrittener Zeit zu den Menschen, die draußen stehen. Wie herrlich und aufwendig die Kirche geschmückt ist! Als gegen halb eins die Kirchenglocken läuten, wünschen wir uns "Frohe Weihnachten" und senden liebe Gedanken in die Heimat, wo es gerade mal 20.00 Uhr ist. Bevor wir zurück zur Strandhütte rollern, gibt es auf einem großen Tablett serviert noch Pfefferkuchen/Früchtebrot für alle. Was für eine schöne Tradition!

Die Geschenke dieses Jahr fallen etwas anders aus. Große Shopping-Runden bei unserem eingeschränktem Gepäck waren im Vorfeld natürlich nicht drin, aber dennoch gab es eine kleine Bescherung mit nützlichen und emotionalen Reiseerlebnissen. Das größte Geschenk machen wir uns mit dieser Reise selbst mit der Tatsache, jeden Tag miteinander zu verbringen.

In Sachen Weihnachtsdeko lässt man sich hier übrigens nichts vormachen - in den kommenden Tagen werden wir noch viele üppig mit Lichterketten und Sternen verzierte Häuser sehen. Wo kein weihnachtsliches Ambiente herrscht, wird mit vielen Lichtinstallationen und Schnick nachgeholfen. An den Straßen und Schaufenstern winkt Santa, in kleinen Krippen am Straßenrand liegt das Jesuskind.

Vermutlich wäre es für uns in jedem anderen Bundesstaat Indiens schwieriger geworden, Weihnachten zu verbringen - danke Goa, für dieses Erlebnis. Was wir neben Weihnachten feiern sonst noch so erlebt haben und welche Strände wir erkundet haben - darüber gibt es bald noch mehr zu lesen.

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Kommentare: 1
  • #1

    Elli (Dienstag, 09 Januar 2018 23:45)

    Vielen Dank für den anrührenden Einblick in euer Weihnachten viele tausend Kilometer weit weg. Sehr schön geschrieben, sodass wir richtig "mitfühlen" konnten.