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Auf der Mauer ... we have climbed the Great Wall!

Weltwunder, Weltkulturerbe, sichtbar vom Weltall, 8850 Kilometer km lang - um die Chinesische Mauer ranken sich viele Geschichten, Mythen und ein jeder Peking-Reisende (wenn nicht sogar China-Reisende) wird wohl seinen Fuß auf das mehr als 2300 Jahre alte Bauwerk setzen wollen. So auch wir. Zum ersten Mal in China - da wollen wir natürlich auch zur Mauer. Und da diese nur einen Katzensprung von Peking entfernt liegt, ist es für uns keine Frage ob, sondern wo wir das Weltwunder erklimmen und bewandern.


Und so haben wir mit den Reiseführern im Hostel gesessen und darüber siniert, wo es denn jetzt wohl am schönsten ist. Einschlägige zuverlässige Informationen (wo wird gerade restauriert - sprich: ist der Mauerabschnitt vielleicht geschlossen? Ist das Stück mit Gepäck zu bewältigen? Kommen wir mit dem ÖPNV hin und wieder zurück?) gibt es wenige. Touranbieter locken mit "Hiking along the Wall" - detaillierte Infos oder geschweige denn GPS-Tracks finden wir nicht. So werden die Smartphones strapaziert: OSMand und MapsMe leisten mal wieder gute Dienste und es entsteht eine Idee, wo wir hinfahren können: Mutianyu soll unser Ausgangpunkt für ein paar Tage Mauer sein - leicht zu erreichen mit einem Bus, der ausflugsfreudige Mauerbesucher vom Pekinger Busbahnhof zweimal täglich (07:00/08:30 Uhr) direkt bis in das Touri-Mekka am Fuße eines restaurierten Mauerabschnittes bringt. Dort hat der Tagesausflügler dann die Qual der Wahl: Sessellift, Gondelbahn, Sommerrodelbahn oder Laufen. Letzte Variante scheint nur für uns von Interesse zu sein. Bei einem Kaffee vom Burger King (ja - auch wir haben uns darüber gewundert, wie viele Fastfood-Filialen sich in Mutianyu angesiedelt haben) mit Mauerpanorama machen wir uns gedanklich bereit. Wir freuen wir uns, mit  Zelt, Schlafsäcken und Verpflegung, gepackten Rucksäcken hier angekommen zu sein und (im Vergleich zu allen anderen Besuchern) relativ viel Zeit mitgebracht zu haben, um das Weltwunder zu erkunden.

Stoisch steigen wir Stufe um Stufe durch ein lichtes Wäldchen in Nähe der Sommerrodelbahn/Sessellift bergan - begleitet von den in Dauerschleife laufenden Durchsagen für die in Schrittgeschwindigkeit herabsausenden Sommerrodler . Wir vermuten "Nicht zu schnell fahren, vor den Kurven bremsen!" Chinesen scheinen ein sehr sicherheitsbedüftiges und von klaren Vorgaben geleitetes Volk zu sein. Nach gut einer halben Stunde haben wir sie erreicht: DIE MAUER. Fotogen und einwandfrei hergerichtet schlängelt sie sich gen Osten und Westen entlang der Berge. Da unsere Tour gen Westen führen wird, verzichten wir darauf, den restaurierten Mauerabschnitt bis zum Ende im Osten zu gehen (sei aber allen empfohlen, die womöglich nur für einen Tag nach Mutianyu kommen) - wir laufen in Richtung obere Seilbahnstation.

Wir sind überrascht, denn der Besucheransturm hält sich in Grenzen und es bleibt sogar Platz für ein bisschen Individualität: Hier wird getanzt, dort mit der gesamten Familie für ein Familienfoto gepost, dann ein Wachturm erklommen  oder ein Päuschen eingelegt. Die Sonne lacht, der Himmel ist blau. Perfekt. So lassen wir den Blick immer wieder zurück schweifen, um auch ja keinen Ausblick zu verpassen.


Wanderer mit großen Rucksäcken begegnen uns bis zum späten Nachmittag nicht.  Wahrscheinlich fragen sich all die Tagesbesucher auch eh, wie man es denn wohl nur in Betracht ziehen kann, das treppauf und treppab mit Gepäck > 20L in Angriff zu nehmen. Uns ist's egal.  Und als wir am Ende des restaurierten Mauerabschnittes (die längste Treppe, die wir je erklommen haben) angekommen sind, da feuern uns die Entgegenkommenden sogar an. Unsere Waden und Oberschenkel brennen. Jetzt nur kein Gesicht verziehen und tapfer durchhalten... wir haben es so gewollt!

Jeder Aufstieg belohnt mit einem Panorama - so auch dieser (eventuelle Nachahmer sollten die Mühe nicht scheuen und diese lange, lange Treppe erklimmen). Wir sind außer Atem, aber glücklich. Und gespannt: Hinter der nächsten Biegung beginnt der unrestaurierte Teil der Mauer. Ganz harmlos geht es los und immer weiter bergauf. Wir erklimmen das Horn des Ochsen, wo die Mauer einen fast 180 Grad Knick macht. Es ist später Nachmittag und wir halten Ausschau nach einem Platz zum Übernachten. Auf dem dritten Turm von hier erspähen wir Menschen mit größeren Rucksäcken - das könnte auch unser Nachtlager werden. Hoffnungsvoll steuern wir diesen Turm an. Und werden für die Mühen mehr als belohnt. Der eindrucksvolle Turm eignet sich mit seiner ebenen Fläche perfekt als Nachtlager und die Aussicht - ja die Aussicht ist einfach märchenhaft und grandios. Als hätte ein Maler seinen Pinsel geschwungen, die Fantasie kreisen lassen und eine Mauer in eine surreal wirkende Landschaft hineingemalt. Hier  werden wir bleiben. Bis die Nacht hereingebrochen und der Mond aufgegangen ist. Und bis der neue Tag anbricht. Was für ein Schlafplatz!

Als die Sonne hinter den Bergen untergegangen ist, bauen wir unser Häuschen (das mongolische Innenzelt, welches wir quasi also Sommerzelt hier behalten haben; Oberzelt ist per Post auf dem Weg gen Heimat) auf, rollen die Matratzen aus und pusten eine zweite Lage auf (Danke Decathlon in Peking - diesen Luxus hätten wir uns auch schon in der Mongolei gewünscht). Zum Abendessen gibt es einen Topf chinesische Instantnudeln. Schon beim Radeln in der Mongolei haben wir deren Vorzüge sehr zu schätzen gewusst. Schnell hat die Dunkelheit Einzug gehalten: In der Ebene in der Ferne leuchten die Lichter des Pekinger Ballungsraumes. Wir sind keine 70 km entfernt und fühlen uns doch so weit Weg von dem Trubel und Getümmel der vergangenen Tage.

Die Sonne hat es schwer am nächsten Morgen - über dem Horizont hängt der Smog der Großstadt. So strecken wir immer wieder die Nasen aus dem Zelt und warten darauf, dass sie es endlich schafft, mit den Strahlen die kalte Nachtluft zu erwärmen. Wir lassen uns Zeit. Nach Haferflocken und Instantkaffee packen wir zusammen und nehmen den nächsten Maueabschnitt in Angriff: Was gestern so märchenhaft vor uns lag, gilt es heute zu durchwandern. Wandern ... oder sollten wir es besser gleich klettern und kraxeln nennen? Rückblickend ja. Wenn wir an diesem friedlichen Morgen gewusst hätten, auf was wir uns da eingelassen haben - wir hätten wahrscheinlich den Abstieg ins Tal gewählt. Aber: Manchmal ist es eine Bereicherung, sich überraschen zu lassen und nicht so genau zu wissen, was auf einen zukommt. Und der Mensch ist ja bekanntlich auch ein zäher Geselle, wenn genug Adrenalin fließt. So steigen wir über Leitern fast vertikal ab (Danke den Leitermännern, die sich diesen "Service" für ein paar Yuan bezahlen lassen, aber ohne deren Leitern die Mauer unpassierbar wäre), rutschen auf den Hintern über in den Stein gehauene Stufen und Tritte, sind immer wieder froh, hier und da jetzt nicht in die entgegengesetzte Richtung zu müssen (hätten wir wahrscheinlich auch geschafft, aber ein bisschen Zureden schadet ja nie), drücken uns mit zitternden Knien nach oben und wagen es oft nicht, den Blick weiter als bis zum nächsten Absatz zu richten. Konzentration auf das was unmittelbar bevorsteht. Schritt für Schritte. So bewegen wir uns langsam vorwärts, passierren verfallenen Wachtürme und hoffen immer darauf, nicht an eine unüberwindbare Stelle zu gelangen. Dann müssten wir umdrehen uns bis zum Übernachtungsturm zurückgehen, um durch den Wald ins Tal abzusteigen. Und dann - kommen uns zwei Wandersleute entgegen. Wenn sie es bis hierhin geschafft haben, dann werden wir es auch bewältigen.

(Besorgte Mütter und Väter dürfen den obigen Abschnitt gern schnell wieder vergessen ;-))

Und so ist es: In der Scharte von Jiankou wird es leichter. Weniger steil, weniger aufregend, Wir pausieren bei Picknick und Schläfchen ausgiebig. Nebel- und Smogschwaden ziehen auf. Es wird kühler und irgendwie auch unheimlicher: Raben krächzen. Wir folgen der Mauer noch für ein gutes Stück, bevor wir beschließen, heute ins Dorf abzusteigen. Eine gute Entscheidung! Bei einer Familie kommen wir in einer Pension unter. Dusche, Wasserkocher, Tee, große Decke. Unglaublich leckeres, frisch zubereitetes Essen. Kein Nebelgewaber und keine Raben mehr in unmittelbarer Umgebung. Nach den Anstrengungen des zweiten Tages fühlen wir uns herrlich geborgen.


Und am nächsten Morgen? Scheint natürlich die Sonne und Anja möchte wieder rauf - auf die Mauer. Trotz Muskelkater und schweren Beinen. Beim chinesischen Frühstück mit Gemüsesuppe, gedünsteten Knödeln, Tofu, Sellerie- und Krautsalat wird Manu überzeugt. So schnell werden wir hier nicht mehr herkommen (wenn überhaupt noch einmal). Überschwängliche Freude und überstrotzende Energie sieht anders aus, aber trotzdem stiefeln wir wieder los. Einmal rauf zur Mauer - vielleicht ein bisschen die Aussicht genießen. Und dann wieder runter. Ganz entspannt. Wir verlassen Jiankou gen Westen - und oben am Grat angekommen haben wie die Wahl: Nach rechts/Norden macht die Mauer einen fast gemütlichen Eindruck (Anjas Wahl), nach links/Süden sieht es (wieder) spektakulär steil (diesmal nach oben und nicht nach unten) aus (Manus Wahl). Wir trinken einen großen Schluck Wasser, schauen uns in die Augen, entscheiden uns für links. Neuer Tag - neues Kletterglück. Heute gemeinsam mit unzähligen Chinesen, denn die Goldene Woche hat begonnen. Ein Jedermann schwärmt aus, macht für ein paar Tage frei. So sind zahlreiche Wandergruppen unterwegs und von der Lautstärke und vom Gefühl fühlt es sich ein bisschen nach Herrentag und Pfingsten an. Die Stimmung ist ausgelassen und gemeinsam klettert es sich leichter. Die Stufen und Absätze, die uns dem Himmel ein gutes Stückchen näher bringen, haben es wieder in sich: Es geht sehr (!) steil bergauf - in umgekehrter Richtung ist diese Strecke niemandem zu empfehlen.

Immer wieder treffen wir auf chinesische Wanderfreunde, die sich über uns Weißgesichter  freuen und unzählige Fotos mit uns und in unterschiedlichsten Konstellationen machen. Mal wird eine Fahne gehisst, mal einfach nur breit in die Kamera gelächelt. Wir fühlen uns wie Superstars - sind gefühlt aber auch die einzigen beiden Westler, die an diesem Tag auf diesem Mauerabschnitt, der mit grandiosen Weitsichten aufwartet, unterwegs sind. Obwohl der Abschnitt recht weit abgelegen und sehr steil ist, wird hier restauriert. Work in progress. Jiankou wird seinem Talnachbar Mutianyu in ein paar Jahren vielleicht Konkurrenz machen. Wir blicken bei herrlichen Wetter weit, weit zurück und lassen die vergangenen Tage anhand vom Mauerverlauf revue passieren. Bis zum Sessellift in Mutianyu können wir blicken. Der Abstieg zurück ins Dorf hat noch ein paar Schikanen parat: Auch auf dem bereits restaurierten Mauerabschnitt heißt es noch einmal Klettern: Und zwar sehr steil bergab. Die Stufen erinnern uns eher an Leitern. Die Chinesen machen es vor: Hier wird gelacht und fotografiert - wir mögen uns gar nicht ausmalen, was passiert, wenn auch nur ein Wandersmann ins Straucheln gerät. Passierrt zum Glück nicht. Wir sind trotzdem froh, als wir den nächsten Waldweg zurück ins Tal passieren - das ist unserer. Mit müden Beinen steigen wir ab, freuen uns auf die Dusche, zwei kalte Bier und ein hausgemachtes Abendessen.

Am nächsten Tag nehmen wir Abschied vom Abenteuer Mauer. Bei Regen und Muskelkater in den Oberschenkeln fällt es uns nicht allzu schwer zurück gen Hauptstadt zu rollen (Öffentlicher Bus fährt 2x pro Tag über Houeirou/hier umsteigen in Bus zum Pekinger Busbahnhof.)... Adieu Weltwunder!  Wir danken dir dafür, dass du uns dein wahres Gesicht gezeigt hast und wir uns körperlich und auch seelisch an dir verausgaben durften. Eine Erfahrung, die in die Memoiren für die Enkel eingehen wird...

Fazit:

Von Mutianyu kommt man mit Gepäck relativ gut bis zum Aussichtsturm, auf dem wir übernachtet haben. Von dort sollte man sich wirklich gut überlegen, ob ein Weitergehen mit Gepäck sinnvoll ist. Rückblickend würden wir eher empfehlen: Absteigen in Richtung der kleinen Dörfer mit Tal (Jiankou) und von dort dann mit Tagestouren nochmals 1-2 mal hoch zur Mauer. Mit weniger Gepäck wird das Klettern leichter. Und die Wasser-/Getränkeversorgung ist gesichert (auf dem restaurierten Mauerabschznitt gibt es in regelmäßigen Abständen Wasser für 2€/0,5 Liter zu kaufen; hinter dem Ox Horn gibt es keine zuverlässige Quelle für Flüssigkeiten mehr - vielleicht hat der Leitermann ein paar Getränke dabei - vielleicht aber auch nicht, Wir danken an dieser Stelle Andy,einem Fotografen aus Hannover (die Welt ist klein) noch einmal, der uns für Wandertag 2 eine 1,5L-Flasche Wasser überlassen hat. So hätten wir durchaus noch eine zweite Nacht auf der Mauer verbringen können. Nebel, Tristesse, krähende Raben und die Ermangelung eines heimlegigen Schlafplatzes haben uns am Ende des  zweiten Tages dem Entschluss näher gebracht, ins Dorf abzusteigen. Vom Aussichtsturm ist die Mauer unrestauriert, zum Teil sehr ausgesetzt und steil. Rückblickend würden wir Tag 2 und 3 auch nicht als Wandertag, sondern eher als Klettersteigtag (nur halt ohne Klettersteigset) verbuchen. Die Nacht auf der Mauer gehört definitiv zu den bisherigen Glücksmomenten unserer Reise.

"If you haven't been to the Great Wall, you aren't a real man." Mao Zedong

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Kommentare: 3
  • #1

    Pap´s (Sonntag, 08 Oktober 2017 15:02)

    Was für ein Bericht !!! Auch dieses Erlebnis, faszinierend zu lesen und anzuschauen, kann Euch 2 Glücksreisenden keiner mehr nehmen. Die Bilder sind mehr wie beeindruckend...

  • #2

    Lieblingsonkel (9. 10. ) (Montag, 09 Oktober 2017 17:59)

    Euer Bericht ist eine tolle Geburtstagsüberraschung! Aber als ich das Bild von der "Leiter" sah, habe ich doch einen Schrecken bekommen.

  • #3

    Dieter (Mittwoch, 11 Oktober 2017 10:28)

    ok, wirklich sehr beeindruckend der Bericht, tolle Bilder. Werde Euch weiterhin auf eurer Reise digital begleiten. :-)