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Berggeschichten vom Manaslu - Du bist nicht allein - Tag 9 (Sama - Samdo)

Die Wolken hängen auch nach der Nacht noch in den Bergen und über dem Tal und du sitzt etwas besorgt beim Frühstück und fragst dich - über eine große Schale dampfenden Porridge gebeugt - was den Wettergott wohl erzürnt hat und hoffst, dass möglichst schnell Wind auffrischt, um die Wolken zu vertreiben.


Am heutigen Tag wirst du nur gut drei  Stunden unterwegs sein, was sich zunächst wie ein Spaziergang anhört, da auch nur 350 Höhenmeter bis nach Samdo (ca. 3900 m) zu erklimmen sind. Aber natürlich ist der große Rucksack an diesem Tag wieder schwer, nachdem er gestern nicht im Einsatz war. Auf dem Weg weiter im breiten Tal überholen dich drei Frauen mit Sandalen, Musik aus dem Handy begleitet sie. Wenig später kommen sie dir mit vollem Flechtkorb mit Brennholz entgegen. Der Winter naht und dein Guide erklärt, dass in dieser Zeit nun beständig Feuerholz gesammelt werden muss. Da es sich überall um eine Art Naturschutzgebiet handelt, dürfen die Bewohner nur an ausgewählten Stellen Holz schlagen. Noch sind an den Hängen breite, dichte, alte Wälder zu sehen. Wie lange noch ? Bis hier in diesem Klima ein Baum nachwächst und altert, vergehen Jahrzehnte. Das Holz wird, neben Yakdung, vor allem zum Heizen verwendet. In den kleinen Küchen befeuert meist eine einzige Feuerstelle den Ofen und bildet gleichzeitig eine Wärmequelle für die Familien. So romantisch dies klingt, so hart muss das Leben in diesen Höhen im Winter sein. Es sind diese kleinen Einblicke und Gedanken zum Alltag hier, die abseits der fantastischen Berge, das Wandern hier ganz besonders macht.

Neben den Menschen vor Ort begnestet du natürlich auch anderen Wanderern. Zunächst begegnet man sich mit etwas Skepsis und vielleicht leichter Enttäuschung, weil man den Manaslu gerade deshalb auswählte, weil hier weniger Touristen unterwegs sein sollen. Es ist wie so oft auf Reisen das Gefühl "Ich bin doch Individualtourist, warum sind hier noch andere Individualtouristen?". Jeder hat jedoch, insbesondere hier, seine eigene Geschichte und Motivation für diese Runde. Du findest zwar jede Altersklasse am Manaslu, allerdings sind es vorwiegend ältere Wanderer, die unterwegs sind. In Gesprächen wird oft rasch klar, dass viele bereits Erfahrung an anderen Wegen haben, teils Jahrzehnte zurückliegend. Besonders fasziniert dich die Geschichte eines Vaters mit seinem Sohn. Der Sohn, ungefähr Mitte 30, aus Hamburg, begleitet seinen Vater in die Berge. Dieser war vor 50 Jahren (??) mehrmals in Nepal und wollte seinem Sohn nun dieses Land zeigen. Er ist 68 Jahre und hadert mit der Anstrengung. Beide haben eine nicht immer einfache Beziehung zueinander, aber man merkt, wie es für beide wichtig ist, dies zusammen zu erleben. Der Sohn hätte den Weg auch gerne mit seiner Frau gemacht, aber "Es ist halt ein Vater-Sohn-Ding und er ist nicht immer einfach". Du erinnerst dich auch an eine rüstige Österreicherin, die du vor ein paar Tagen getroffen hast. Sie war allein mit Guide und Träger unterwegs und wieder auf dem Weg nach unten ins Tal. Sie sei zu alt und zu langsam, um noch mit Gruppen gehen zu können. Sie hat es bis nach Lho und 3200 m geschafft, die Zeit dort oben genossen und kehrte nun, ohne Passüberquerung, aber dennoch zufrieden wieder um.


Die Etappen in den Höhen sind kürzer und es gibt eine logische Reihenfolge der Etappenorte. Somit triffst du immer wieder auf die gleichen Menschen, da heißt es dann "Ah, die Holländer sind schon angekommen." oder "Da hinten kommen die Franzosen, sie sehen ja noch fit heute aus". Übrigens sind die Franzosen noch vor den Deutschen die Nation, die sich hauptsächlich am Manaslu "tummelt". Relativ leicht erkennbar von Weiten an einer Vollausrüstung von Quechua (Decathlon) oder Millet.


In den Gesprächen untereinander ist bei allen, je höher man steigt, eine gewisse Unsicherheit aufgrund der bevorstehenden Passüberquerung zu beobachten. Alle haben mit der Anstrengung, dem Gepäck, der Höhe und den einfachen Lebensverhältnissen mehr oder weniger zu kämpfen. Es schweißt auch in gewisser Art und Weise zusammen. Informationen zum Wetter, zu Entfernungen, Mittel gegen Kopfschmerzen oder Erkältung werden ausgetauscht. Und doch geht am Ende jeder seinen Weg. An dieser Stelle bist du erneut froh, keiner größeren Gruppen "anzugehören". Du hörst Heinrich aus Bayern zu, geschätzt Mitte 50, der Erfahrung im Himalaya besitzt und auch schon in den meherer Wochen in den Anden unterwegs war und bei einem Veranstalter in Deutschland die Tour buchte. Seine beiden Mitwanderer hat er über das Internet "kennengelernt", sie haben sich in Kathmandu das erste Mal gesehen. Leider sind sie deutlich langsamer als er unterwegs und vertragen zudem die Höhe nicht gut. Er wird am Ende den Pass nicht überqueren können, da die beiden anderen umkehren möchten und er ohne Guide nicht weiterlaufen darf.


Die meisten Wanderer am Manaslu lassen sich neben dem Guide noch von Trägern unterstützen. Diese starten früh morgens mit dem Gepäck ihrer Gäste. Es gibt gute Gründe für einen Träger. Es ist ein Arbeitsplatz in der Region, er ernährt damit seine Familie und zum Wandern ist es selbstverständlich deutlich angenehmer, nur einen kleinen Tagesrucksasck zu schultern. Allerdings fragst du dich, da du diesen Service nicht nutzt, was wohl in den riesigen Rucksäcken und Taschen alles sein muss, die dort hoch getragen werden. Sicherlich wäre es schön, noch drei T-Shirts, 5 Socken, einen Schlafsack bis Minus 20 Grad und ein großes Glas Nutella dabei zu haben. Aber wirklich dringend notwendig ist dies nicht. Beim Höhenbergsteigen in den hohen 8000ern reduziert der Einsatz von Sauerstoff die Höhe um 1500 hm. In den letzten Jahren gab es einen enormen Schub im Fahrradsektor durch die modernen E-Bikes. Und so ungefähr fühlt es sich auch am Manaslu an, wenn andere Wanderer durch ihre Träger unterstützt die Höhe erklimmen. Für die meisten ist es Luxus, etwas Komfort, für manche wird es jedoch erst dadurch möglich, diese Tour überhaupt anzugehen.

Du erreichst heute dein Tagesziel Samdo bereits am Mittag (deine Wünsche vom Frühstück wurden erreicht - die Sonne hat sich ihren Weg durch die Wolkendecke gebahnt, aber die umliegenden Berge liegen zum Teil noch immer in den Wolken), ruhst etwas, bevor es erneut zur Akklimatisation auf einen naheliegenden "Hügel" geht. Wieder werden die Schritte sehr langsam, die Häuser kleiner, der Atem schneller. Unter dir verläuft eine alte Handelsroute, die direkt ins Hochland von Tibet führt. In der Ferne ist zum ersten mal der Larke-Pass, der höchste Punkt deiner Wanderung, zu sehen. Im Vergleich zu den umliegenden Bergen sieht er gar nicht so hoch und furcheinflößend aus. Dein Guide bringt dich erneut geschätzte 400 Höhenmeter hinauf, bevor Wolken aufziehen, euch der kalte Wind um die Ohren pfeift und ein Graupelschauer niedergeht und ihr den Rückweg nach unten antretet.

 

Im vollen Gemeinschaftsraum genießt du an einem kleinen Ofen deine Nudeln, trinkst noch einen großen Schluck Tee, bevor du dich im kargen, kalten Waschbeton-Zimmer in alle Schichten einkuschelst.

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Kommentare: 1
  • #1

    Pap´s (Dienstag, 12 Dezember 2017 13:13)

    Mit wie Wenig doch viele Menschen dort auskommen müssen. Karge Landschaft, eher Hütten als Häuser, eher Pfade als Straßen...