Es sind die schweren Beine und ein müder Körper, der heute Morgen viel Überzeugungskraft brauchen, um aus dem warmen Schlafsack zu kriechen. Du hebst den Kopf und blickst aus den Fenstern des kleinen Zimmers im Holzcottage. Und schaust direkt auf die Berge, die Bhimtang in westlicher Richtung überragen. Noch liegen sie im Dämmerlicht, aber es wird nicht mehr lange dauern, bis die ersten Sonnenstrahlen die Gipfel berühren und die Zipfel leuchten lassen.
Wie schön wäre es doch, heute einen Pausentag einzulegen und ein wenig auszuruhen. Der Zeitplan sieht jedoch vor, heute weiter abzusteigen. Dein Guide prognostiziert: Fünf Stunden langsames Gehen bis Gho. Dort wartet ein Gästehaus mit heißer Dusche auf dich. Eine Dusche? Und dann auch noch heiß? Das ist doch mal ein Ansporn! So wird nach dem Frühstück in alter Gewohnheit ein Fuß vor den nächsten gesetzt. Auf den Manaslu blickend geht es geht noch ein kurzes Stück durch die Ebene von Bhimtang, bevor der lange Abstieg beginnt. Nicht lange nachdem ihr gestartet seid, musst du anhalten und eine Schicht deiner Kleidung ausziehen: Die lange Unterhose ist zu viel des Guten und auch die Daunenejacke verschwindet im Rucksack.
Den Manaslu, nun zu deiner Linken führt der Weg durch ein sich ständig veränderndes breites Bachbett, in dem das blaue Gletscherwasser gurgelt und sprudelt und der dich nun bis nach Dharapani
begleiten wird. Bevor es in den Wald geht, führt der Weg über eine kleine Brücke und ein Stück bergan. Bergauf? Sollte es heute nicht "nur" bergab gehen? So sind sie - die nepalesichen Aussagen
zu "Hoch, Runter und Geradeaus". Was für einen Einheimischen "nepali flat" ist und soviel wie eben bedeutet, muss sich für den europäischen Wandersmann nicht automatisch flach anfühlen.
Schon bald mündet der Pfad in einen urigen Wald mit alten, dicken Bäumen - nach all den vegetationslosen Tagen fühlt sich das Grün um dich herum erfrischend an. Anders sieht es auf deinem Kopf aus. Mit jedem Höhenmeter wird es wärmer, sodass du schon bald das Bedürfnis verspürst, deine Mütze abzunehmen. Mütze abnehmen ist gleichbedeutend damit, dass "andere" deine seit neun Tagen nicht mehr gewaschenen Haare sehen könnten (die letzte Dusche hast du in Philim genossen). Du denkst kurz darüber nach, schmunzelst und fragst dich, ob es vor dem Manaslu-Treck überhaupt schon einmal erforderlich war, neun Tage ohne Dusche und heißes Wasser auszukommen. Die Berge erforderten Entbehrungen und jede Entbehrung verdeutlicht: was für uns im Alltag selbstverständlich und ganz normal ist, ist anderswo ein Luxus. Ein dünnes Halstuch ist die Lösung: Modisch um den Kopf gebunden, verdeckt es das Übel und schützt vor der Sonne, lässt den Kopf aber doch atmen.
Nach Gho (2500 m) abzusteigen bedeutet auch, dass du mit jeder Stunde weniger Bergsicht hast und langsam aber sicher vorerst Abschied nehmen musst von der Gipfel- und Gletscherwelt. So wird die Vegetation wieder üppiger. Bauern bereiten mit vor den Pflug gespannten Büffeln die Felder fürs nächste Jahr vor. Du betrachtest das Schauspiel und fühlst dich um Hunderte von Jahren zurückversetzt. Wie hart und einfach dieses Leben hier doch wieder ist. Als du die Herberge in Gho erreichst, ruft dir ein anderer Wanderer entgegen: Es gibt tatsächlich eine Dusche! Dein Guide hat also nicht zu viel versprochen. Wenn die Ausstattung des Badezimmers auch ein wenig eigentümlich ist (Wasser kommt nur aus dem Hahn auf Hüfthöhe, aber es gibt einen kleinen Eimer, mit dem du dir das lauwarme Wasser über den Körper gießen kannst. Deinen Kopf hälst du direkt unter den Wasserstrahl. Was nach einer wahren Wohltat klingt (ist es im Nachhinein auch, denn so sauber hast du dich schon sehr lange nicht mehr gefühlt), ist in Realität eine kleine Herausforderung, denn die Badezimmertemperatur liegt gefühlt bei unter zehn Grad und du musst deine Haare zweimal einseifen, um die Haarwäsche zum Schäumen zu bringen. Vergnügliches Duschen sieht anders aus. ;-)
Das erste Mal seit Verlassen Pokharas vor etwa zwei Wochen gibt es eine schwache W-Lan-Verbindung. Du nutzt die Gelegenheit und schickst deinen Lieben ein Lebenszeichen. Willkommen zurück in der
Zivilisation!
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