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Im 1 Millionen-Sterne Hotel - in der Wüste Rajasthans

Es ist eine Vorweihnachtszeit, die bei uns wohl kaum weniger Weihnachtsstimmung hervorrufen könnte - rumpelten wir am 1. Advent im Minibus vom Chitwan Nationalpark in Richtung Kathmandu, blickten wir am 2. Advent staunend auf das Fort Amber hinab. Sieben Tage später - zum 3. Advent fahren wir in der Obhut des "Real Desert Man" hinaus in die karge Wüste Rajasthans, eine unwirtliche und karge (manch einer mag sagen lebensfeindliche) Stein-, Geröll- und Sandwüste.

Anders als in der Mongolei (viele Hundert Kilometer liegt die Gobi-Wüste von Ulan-Bator entfernt/ mehr dazu in "Weitsichten und Glücksmomente im Land der Nomaden") beginnt die Rajastani-Wüste bereits vor den Toren Jaisalmers und auch Reisende mit wenig Zeit können auf Stippvisite eine Prise Wüste schnuppern. Wir entscheiden uns für eine 24h-Tour, starten morgens mit Übernachtung in der Wüste.

Wir werden gemeinsam mit Tim, einem britischen, in Kenia stationierten Soldaten, der in Indien seinen Weihnachtsurlab verbringt, hinaus in Richtung Westen gefahren. Bevor wir unseren Ausgangspunkt erreichen und auf die Kamelkarawane treffen, zeigt uns Mr. Jeep ein vor gut dreihundert Jahren verlassenes Dorf. Die Legende besagt, dass der König hier die Töchter eines wohlhabenden Mannes heiraten wollte. Der Vater und das Dorf waren dagegen. Um dem in Folge dessen angedrohten Tod zu entgehen, flüchtete die gegesamte Dorfgemeinschaft. Wir spazieren durch die alten und zu Teil wieder restaurierten Häuser mit Balkonen und verschnörkeltern Ausgucken. Ein für uns unscheinbares Wasserloch ist der nächste Stopp entlang des Weges. Mit Stolz geschwellter Brust, erörtert Mr. Jeep die Bedeutung dieses das ganze Jahr über Wasser fassenden Quell des Lebens. Wir - Wasser im Überfluss gewöhnt - machen aus Höflichkeit ein Foto, sind jedoch eher unbeeindruckt.

Ein kleines 120-Einwohner zählendes Dorf ist Ausgangspunkt zum Kamelritt zu einer der Sanddünen. Bevor wir uns auf die Rücken der Kamele begeben, haben wir Zeit für einen Spaziergang durchs Dorf. Wir sind neugierig - die Dorfbewohner sind neugierig. Wir fühlen uns fremd und fragen uns, wie sich wohl die Dorfbewohner fühlen mögen, wenn sie Tag um Tag von Kamel reitenden Ausländern "besucht" und begutachtet werden. So unauffällig wie möglich zücken wir die Kameras und machen aus entsprechender Entefrnung Aufnahmen vom Leben der Menschen, die in kleinen zum Teil modernen, zum Teil aber auch traditionell aus Dung und Lehm gebauten Häusern mit ihren Tieren (Ziegen, Schafe, Kamele) und vielen Kindern leben. Die Kinder fragen nach Stiften, Süßigkeiten und Rupies. Ein etwa zehnjähriges, hochgewachsenes, schlankes Mädchen berührt Anjas Halstuch (das grüne mit mittlerweile schon zig großen Löchern) und fragt, ob sie es haben könne. Die den "Touristen folgende Menschenschar" wird immer größer und zum Ende des Spaziergangs wird der kleine Dorfladen aufgesperrt: Vielleicht kaufen die Fremden ja hier die ersehnten Süßigkeiten für die Kinder? Wir fühlen uns befangen und etwas unwohl und sind froh, als die Kamele endlich in Sicht kommen und wir gemeinsam mit Honey, unserem "Indianer" für die nächsten 24 Stunden das Dorf verlassen. Er zeigt uns auf dem Weg noch das kleine Schulgebäude des Dorfes. Gut 25 fünf- bis neunjährige werden dort unterrichtet.

Unsere kleine Karawane zieht nach Nordwesten, elegant setzen die ruhigen und anmutigen Tieren ihre langen Beine in den Sand. An einem Brunnen legen wir eine kurze Pause ein. Hier werden die Kamele getränkt, Wir steigen ab, bekommen die Zügel unseres jeweiligen Kumpanen in die Hand gedrückt und führen ihn zum kühlen Nass. Appalachino und Rambo halten ihre Schnauzen in das kalte Wasser und saufen. Wohl verdient!

Honey, 22, liebt die Tiere, die Wüste und die Einsamkeit. In der Hochsaison ist er bis auf einen Tag pro Monat jeden Tag hier draußen und führt kleine und größere Gruppen zum Wüstencamp. Anja fragt ihn, ob er schon verheiratet ist. Nein - das habe noch Zeit. 25 ist ein gutes Alter zum Heiraten. Seine Eltern, die in einem etwa 60 km entfernten Dorf leben, werden ihm sicher ein hübsches Mädchen aussuchen. 5000 Rupies (ca. 65 Euro) verdient der junge Mann pro Monat - zusätzlich Trinkgelder von den Gästen. Honey summt und singt, während er locker auf seinem Kamel die kleine Karawane anführt und wirkt, als könne es keinen Job auf der Welt geben, die ihm mehr Freude bereiten würde.

Wenn die Gäste Zeit mitgebracht haben, dann wird eine lange Mittagspause unter einem schattigen Baum eingelegt, die Tiere werden abgesattelt, ein kleines Feuer wird entfacht. Mit drei klobigen Steinen ist geübt schnell ein kleiner Ofen gebaut und der Massala Tee aufgesetzt. Als Honey die Zuckertüte über dem Topf leert, schluckt Anja kurz auf - der aus schwarzem Tee, Milchpulver, Wasser, Gewürzen und Ingwer gekochte Tee wird sicherlich einer der süßesten während der gesamten Indiensreise werden. So überschwänglich die Inder mit dem Zucker umgehen, wenn es um warme Getränke geht, umso herzhafter sind die warmen Speisen. Das milde Linsen-Gemüsecurry, das scharfe Knoblauch-Zwiebel-Chutney und das frisch gebackenen Chapati schmecken hervorragend und Honey entpuppt sich als guter Koch. Während der Mittagspause bekommen wir Gesellschaft von einem Rajastani, der erst sehr schüchtern hinter dem Baumstamm hockt und das Geschehen beobachtet, sehr bald aber mit Honey ins Gespräch kommt und ihm sogar als Co-Chef zur Hand geht. Nach dem Mittagessen liegen wir satt und zufrieden im Schatten des großen Baumes. Hören den Wind rauschen. Und sonst nichts. Wo ist er geblieben? Der indische Wahnsinn, das Chaos, der Lärm, die Abgase? Mussten wir erst in die Wüste fahren, um mal wieder entspannen zu können und die Geister ein wenig zur Ruhe kommen zu lassen? Die Mittagspause beträgt stolze drei Stunden, aber wir sind in keinster Weise in Eile. 

Am Nachmittag reiten wir noch knapp eine Stunde. Ein heißer Wind weht, es ist warm geworden. Wir sehen ein paar Springböcke und wilde Kamele. Als wir uns der Sanddüne nähern, ist die Freude groß, als Honey verkündet - hier ist unser Camp. Hier werden wir bleiben und übernachten. Das Wüstencamp besteht aus nicht viel mehr als ein paar Feldbetten unter freiem Himmel mit Bettzeug, einer kleinen Feuerstelle und einem kleinen weißen Pavillon, der als Nachtquartier für die kleine Crew besteht. Für die Jungs aus der Wüste ist der Winter eine kalte Angelegenheit. Man schläft lieber im Zelt, anstatt zu frieren. Und die Sterne? Die haben sie ja quasi das ganze Jahr über ... Wir sind glücklich über so viel Minimalismus. Ein Bett unter dem Himmelszelt.

Wir lassen den Blick schweifen - immer und immer wieder. Genießen die Weite und die Stille. Beobachten die dicken Käfer, die sich leichtfüßig ihren Weg durch die Massen an Sand bahnen. Mit der untergehenden Sonne wird es schnell dunkel im Camp. Ein Feuer wird entfacht, die Decken darum gelegt. Gemeinsam mit zwei englischen Pärchen, einem Kanadier, Tim und sogar einem kühlen Bier lassen wir den schönen Tag ausklingen. Als die Kühle der Nacht hereinbricht, kuscheln wir uns in unser Schlafsack-Decken-Gemach und schauen in den Himmel. Die Sterne funkeln. Was für ein Erlebnis. Was für ein Geschenk in der Vorweihnachtszeit. Und was für ein Glücksmoment.

Der nächste Morgen begrüßt uns mit einem farbenfrohen Sonnanaufgang, einer Tasse süßer Chai im Bett, einem kleinen Fotospaziergang über die Dünen und einem Frühstück im Camp. Bis die Kamele gesattelt und bepackt sind, bleibt sogar noch Zeit für ein Ausstrecken auf dem Bett.

Und dann geht es zurück durch die karge Ebene in Richtung des kleinen Dorfes, in dem wir gestern gestartet sind. Schaukelnd hängen wir den Gedanken nach. Eine Ziegenherde kommt uns entgegen und am Wegesrand knuspern Schafe an den stacheligen Büschen. Die Ackerflächen werden im Frühjahr dafür genutzt, um Melonen und anspruchsloses Getreide anzubauen. Dann kommen einige Familien zurück in die im Moment leerstehenden Häuser, um Ackerbau zu betreiben. Wir können uns ein Leben in dieser Gegend nicht vorstellen und bewundern all die Überlebenskünstler, die es fertig bringen, an diesen kargen Orten zu (über)leben.

Wieder mal ist bei unserem Ausflug in die Wüste "erwarte nicht zu viel und du wirst beigeistert werden" eingetreten. Unserer Erwartungen an die Tour waren nicht sonderlich hoch. Im Reiseführer hatten wir gelesen, dass es in Jaisalmers Umgebung zwei Sandüünen gibt, zu denen Touristen zum Sonnenuntergang mit oder ohne Übernächtung chauffiert werden. Einsamkeit dürfe man nicht erwarten, aber ein Erlebnis sei es allemal. Mit dieser Information haben wir Jaisalmer heute morgen verlassen. Dass wir ab Start mit den Kamelen keinen weiteren "Weißen" begegnen würden, damit hatten wir nicht gerechnet. Die Düne rund um das kleine Camp haben wir ebenfalls fast für uns allein. Leidiglich ein Camp befindet sich in Sichtweite, ist aber weit genug weg. Wo sind all die anderen geblieben? Jedenfalls nicht da, wo der Desert Man seine Kundschaft hinführt. Einziger Wehrmutstropfen sind ein fehlendes Toilettensystem (ein Plumpsklo a la Mongolei würde der Umgebung des Camps sehr gut tun! - Diese Empfehlung geben wir dem Desert Man direkt weiter) und Fragen wie  "Wird unser Müll ordnungsgemäß entsorgt oder landet er womöglich in einem Sandloch?", "Haben die Dorfbewohner etwas vom Besuch der Fremden?", "Wem gehören eigentlich die Kamele?" ...

Hartgesottene können auf den Wüstenschiffen übrigens auch lange Strecken überwinden - von Jodhpur nach Jaisalmer auf dem Rücken eines der anspruchslosen Vierbeiner dauert es rund 10-14 Tage. Wir sind froh, dass wir die Sättel am zweiten Tag bereits schon nach gut 1,5 Stunden gegen einen Platz im Jeep eintauschen können. Vermutlich muss man erst wie Honey täglich auf Kamelen unterwegs sein, um seinen Po an das ständige Geruckel zu gewöhnen - die Sitzposition ist in der Tat trotz zwei Decken und einem Sattel nicht die bequemste. Im Vergleich zu unserem kurzen Kamel-Ritt in der mongolischen Gobi hat uns der Ausflug hier und vor allem der liebevolle Umgang mit den Kamelen deutlich besser gefallen. Allerdings sind wir uns auch einig: Wir bewegen uns lieber per Zweirad, Vierrad oder mit der Kraft der eigenen Füße und Waden fort.

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Kommentare: 1
  • #1

    paps (Sonntag, 07 Januar 2018 13:42)

    Mehr Kontrast ist doch gar nicht mehr möglich, Deli - Gewusel und dann in der Wüste auf Kamelen, schlafen unterm Himmelszelt. Würde ich es nicht lesen, könnt ich´s nicht glauben. Die Fotos sind sehr sehr beeindruckend ! Gute Reise weiterhin !