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48 Stunden Indien - Welcome to Delhi!

Von Kathmandu nach Delhi - von einem Chaos ins nächste. Mag es in Indiens Hauptstadt wohl noch schlimmer zugehen? Aus der Heimat hatte man uns vorgewarnt - Smog in Delhi: Flugzeuge können nicht landen, Schulen werden geschlossen, die Stadt erstickt im Dunst.


Delhi ist Start und Ziel für unsere fünfwöchige Reise durch Indien - wir werden der Hauptstadt nur einen Wimpernschlag an Zeit schenken und gehen - als wir in Kathmandu bei Sonnenschein und relativ klarer Luft über das Rollfeld laufen - davon aus, dass die nächsten Atemzüge deutlich kohlenmonoxidreicher werden. Manu hat Anja vorgewarnt: Kathmandu ist ein harmloses Delhi. Mach dich darauf gefasst, dass die Inder distanzloser sind. Und Frauen einen niedrigeren Stand in der Gesellschaft haben. Letzteres wird sich im Laufe der Zeit in Indien für Anja noch als angenehm erweisen - Rikscha- und Taxifahrer, Händler, Bettler nehmen Vorlieb mit dem großen weißen Mann. Verhandlungen sind Männersache.

Unser Flug nach Delhi überrascht mit erstklassigem On-Board-Service. Ein Hoch auf Jet Airways! Neben einem tomatig-gemüsigen Curry mit Reis, Joghurt, Schokolade, Wasser und Tee gibt es sogar zwei Dosen gekühltes Tiger-Bier für die Reisenden. Es ist zwar früher Nachmittag, aber wir stoßen an. Hoch über den schneebedeckten Ausläufern des Himalaya und ehe wir es uns versehen, geht das Flugzeug zum Landeanflug über. Schnurgerade Wasserkanäle und Straßen durchziehen die endlos scheinende Ebene unter uns. Wir sind überrascht - die Gebäude werfen Schatten. Scheint da etwa in die Sonne?!

Der Flughafen in Delhi ist groß und modern. In der verwaisten Ankunftshalle warten an geschätzt 15 Schaltern Grenzer auf Scharen von Einreisewilligen und wir werden direkt an einen der gelangweilt wirkenden Beamten verwiesen. Die eletronischen Visa haben wir bereits in Nepal beantragt und bezahlt - bei Einreise erhalten wir die 60-tägige Aufenthaltsgenehmigung. Unsere Fingerabdrücke werden in verschiedensten Positionen gescannt und ein paar Minuten später stehen wir schon am Gepäckband. Unkompliziert. Auch an den Ausgängen geht es überraschend ruhig und geordnet zu: Hinter einer Absperrung warten unzählige Fahrer auf "ihre" Neuankömmlinge, die dann mit einem privaten Transfer in die Stadt chauffiert werden. Wir finden unseren Fahrer, den das Hotel geschickt hat, nicht auf Anhieb - nach einem kurzen Anruf beim Hotel nimmt er uns jedoch in Empfang: Zur nachmittäglichen Rush Hour in Delhi ist ein Durchkommen nicht ganz so einfach. Nun fahren wir raus aus dem sicheren (Flug-)Hafengelände - sitzen in einem feinen, weißen Auto und  rollen über eine mehrspurige mit Palmen gesäumt asphaltierte Straße ohne Schlaglöcher.

Gut 16 km trennen uns von unserer Bleibe für die erste Nacht. Die ersten 13 km lassen kaum erahnen, was Delhi doch für ein Moloch ist - viel Grün, prächtige Kolonialbauten. Erst auf den letzten Kilometern taucht unser weißer Schutzpanzer ein in das Getümmel. Wir blicken aus dem Fenster, lassen Rikschafahrer vorbeiziehen, Roller hupen, sehen Menschen, die ihren alltäglichen Beschäftigungen nachgehen, dampfende Straßenküchen, Berge von Müll, stoische Kühe, fliegende Händler. Es dämmert bereits und wir sind froh, dass unser Fahrer den direkten Weg zum Hotel - einem für indische Verhältnisse sehr guten Haus - einschlägt. An einer sehr stark befahrenen und lebhaften Straße liegt das City Star Hotel. Wir kommen in einem schicken, klimatisierten, gut schallisolierten Zimmer mit Seitenblick auf die Straße unter und freuen uns über den Luxus (Obstkorb, Tee & Kaffee, mehr weiße als graue Handtücher, riesiges, weiches Bett), welchen wir uns hauptsächlich deshalb gönnen, um Teile unseres Gepäcks an einem vertrauenswürdigen Ort lassen zu können: In den kommenden Wochen wollen wir "nur" mit unseren zwei Rucksäcken reisen; Wanderschuhe, Campingausrüstung, warme Kleidung und allerlei andere nützliche und unnütze Dinge, die sich während der letzten Wochen angesammelt haben, bleiben in Delhi, wo wir Indien im Januar auch wieder verlassen. Nach ausgiebigen Inspizieren und Sortieren ist die Tasche, die zurück bleibt gut gefüllt - 25 Kilogramm wiegt das gute Stück. Etwas mulmig ist uns schon zumute, als wir unseren halben Hausstand gut beschriftet und verschnürt am nächsten Morgen an der Rezeption abgeben, doch wir vertrauen den guten Bewertungen auf booking.com und den emsigen Mitarbeitern des City Star. Auf ein Wiedersehen im Januar!

Relativ groggy vom langen Reisetag entscheiden wir, uns heute Abend nicht mehr raus in den indischen Wahnsinn zu wagen - auf der Dachterrasse dinieren wir fein, lassen uns den Lärm der unter uns liegenden Straße aus sicherer Entfernung um die Ohren wehen und sind gespannt auf das, was uns Indien in den kommenden Wochen offenbaren, zeigen und bescheren wird.

Um einen Eindruck von Indiens Haupstadt zu bekommen und auf Entdeckungstour zu gehen, haben wir gute 24 Stunden Zeit. Nach einem ausgiebigen Frühstück auf "unserer" lieb gewonnenen Terasse schultern wir die Rucksäcke und tauchen ab ins Gassengewirr auf der anderen Seite der viel befahrenen und ausgiebig beobachteten Straße. Da wir nun mobil und wieder sparfüchsiger unterwegs sind, haben wir für die zweite Nacht in Delhi eine deutlich günstigere Unterkunft gebucht, die nur einen Katzensprung vom City Star entfernt liegt. Wir schlängeln uns durch die engen Gassen, weichen den Straßenhunden, lassen uns von neugierigen Augen mustern. Das Gewirr an engen Straßenschluchten mit all seinen Lädchen erinnert an ein orientalisches Viertel. Das GPS versagt. Wir meinen, die Richtung zu kennen - sind es doch nur drei- bis vierhundert Meter. An diesem ersten Morgen - auf den ersten Metern auf eigenen Füßen - zeigen uns zwei Männer den Weg. Es soll nicht das letzte Mal sein, dass wir auf sehr hilfsbereite Einheimische treffen, die uns in ihrer Nachbarschaft den Weg weisen und wir lernen, dass nicht jeder Böses von den Weißen will (vor allem, wenn er oder sie nichts verkaufen und/oder sich nur selten ein westlicher Besucher in die entsprechende Ecke verirrt).

Unsere Haupstadterlebnisse in Delhi:

Old Delhi
Was wir bei unserer Suche nach dem zweiten Quartier am Morgen in klein erlebten, nimmt in Old Delhi eine Dimension ungeahnter Größe und unermesslichre Geschäftigkeit an: Hier im Markt- und Bazaar-Viertel schlägt das Herz eines jeden Händlers und Käufers und es gibt (wenn man denn weiß wo) vom Massala-Gewürz bis zum Flachbildferseher in den kleinen Lädchen und auf den Märkten alles zu kaufen. Es ist ein buntes Treiben, was uns empfängt, als wir aus dem Schlund der U-Bahn zurück ans Tageslicht kommen. Stoffe, Gewürze, Tücher, Kleider, Schreibwaren, Bücher, Elektronik, Haushaltswaren, Gewürze, Tees, Trockenfrüchte. Ein Bummel vom Chadni Chowk zum Roten Fort und weiter in Richtung der größten indischen Moschee ist sowohl ein Fest, aber auch eine Herausforderung für die Sinne. Die Farben, die Formen, die Gerüche! Bei letzteren merken wir schnell - in Indien brauchen wir starke Nasen. Oder eine gewisse Stoigkeit, dass ekelerregende Momente ganz schnell wieder verdrängt und beiseite geschoben werden. Unsere Nasen werden auf eine harte Probe gestellt. Unseren Mägen muten wir beim ersten Spaziergang auf Empfehlung eines sympatischen jungen Mannes einen kleinen Becher frisch gebrühten und zelebrierten Gewürztee zu. Ebenso wie die Männer trinken wir ihn am Straßenrand. Aufs Hinhocken verzichten wir - zu viel Unrat liegt in den Rinnsteigen.

Jama-Masjid-Moschee
Inmitten des trubeligen Gassengewirrs von Old Delhi steht die größte Moschee Indiens, die Jama-Masjid. Hier soll ein Blick von oben möglich sein - eines der 40m-hohen Minarette dient als Aussichtsturm. Wir sind dankbar, dem Gewusel zu entfliehen und den Ort der Stille, welcher bei Predigten bis zu 25.000 Gläubigen Platz bietet. Der Aufstieg zum Minarett ist nur denjenigen zu empfehlen, die keine Platzangst haben - die Wendeltreppe hinauf ist eng und steil und gut besucht. Anders als in China ist der Besucherstrom hier nicht reglementiert - wer rauf will, kann rauf, wer runter will, geht hinunter. Ein Puzzlespiel, das viel Interaktion erfordert. Und siehe da - die Inder (zumindest die, die hier gerade mit uns das Minarett unsicher machen) sind ein freundliches und höfliches Völkchen, das mit ein zwei Floskeln Englisch ganz schnell aus der Reserve gelockt ist. Wir erreichen die Aussichtsplattform und genießen den 360-Grad-Rundumblick auf das Häusermeer. Bis zum Horizont nichts als Stadt ...

India Gate
An die Stimmung und das entspannte Ambiente rund ums India Gate, ein Monument aus Sandstein, welches in Erinnerung an die 90.000 im ersten Weltkrieg gefallenen Indo-Britischen Soldaten erinnert, hat Manu von seiner ersten Indienreise (geschlagene 10 Jahre ist es her) gute Erinnerungen und so machen auch wir einen Abstecher zu den Prachtstraßen und Alleen im Süden Delhis. Das mächtige und hell erleuchtete India Gate, welches von einem riesigen (!!!) Kreisverkehr umgeben ist, erinnert an unser Brandenburger Tor oder den Triumphbogen in Paris. Rund um das Memorial genießt man das Leben - es ist Freitag-Abend: Viele gut gekleidete, indische Familien sind zum Spazieren und Flanieren hier. Eis, Zuckerwatte, Momos, Softgetränke, klebrig süßer Chai. Wir fragen uns, ob die sich hier Vergnügenden wohl aus Delhi kommen oder ob auch sie ihrer Hauptstadt einen Besuch abstatten. Wir denken an unsere Haupstadt - ein Sommerabend in Berlin und werden ein bisschen sentimental. Was für ein Gegensatz und eine Wohltat ist es doch, hier auf einem der Bürgersteige zu sitzen und den Frohsinn der Menschen zu spüren. Old Delhi hat geschlaucht.

Safdarjang's Grab (Tomb) & Lodhi Park

Große Erwartungen haben wir nicht, als wir mit der U-Bahn zur Grabesstätte Safdarjang's fahren. Auf Instagram hat sich Manu inspirieren lassen - der Bau erinnert ihn an den Taj Mahal. Statt weißem Marmor ist roter Sandstein verbaut. Inspiration via Instagram ... wir reisen auf dem Zahn der Zeit und können es selbst kaum glauben, wie viel sich diesbezüglich doch in den letzten zehn Jahren entwickelt und getan hat.
Wenig Erwartungen = große Überraschung: Bei der Grabanlage von Safdarjang trifft dies mal wieder wie die Faust aufs Auge zu. Durch ein prächtiges Tor betreten wir die Gartenanlage und staunen nicht schlecht. Ein im 18. Jahrhundert erbauter Kuppelbau erhebt sich erhaben, symmetrisch akkurat und stolz. Wir gehen auf Fotopirsch, genießen die Ruhe im Park und auch den Dialog mit den Schulausflüglern. Auf die Frage "Which country you belong to?" antworten wir natürlich "Germany" - im Nachhinein fragen wir uns, ob der kleine Junge diese in der Schule oder aus dem Lehrbuch gelernte Formulierung wohl schon einmal einem Ausländer gestellt hat und ob er wohl weiß, wo Deutschland liegt.

Bis der Zug am Nachmittag gen Jaipur rollt, haben wir noch Zeit und so spazieren wir von Safdarjang zu einem der urbanen Grünanlagen, dem Lodhi Park. Auch hier begegnen wir einer ausgelassenen Stimmung: Schulausflügler in Uniformen erkunden die alten Gemäuer (Moschee, Grabanlagen), Familien sitzen im Gras und picknicken, ein Hochzeitspaar hat sich zum Fotoshooting herausgeputzt, Jungen kickern mit einem Ball, ein kleiner Junge rollt sich ausgelassen durch die Wiese, Hunde tollen mittendrin, ein verliebtes Pärchen hat sich hinter einem Baum zurückgezogen. Was für ein Gegensatz zu China dieses Bild vom Park doch ist: Statt Restriktionen fühlen wir hier Lebensfreude.

Menschen
Eigentlich braucht es gar keine Sehenswürdigkeiten, um in den ersten Stunden "draußen im Leben" und im indischen Wahnsinn glücklich zu sein. Wenn der Indien-Neuankömmling "nur" auf die Straße gehen würde, hätte er/sie schon mehr als genug zu beobachten. Da sind gut gekleidete und zerlumpte Passanten, Kinder in Schuluniformen und Kinder ohne Schuhe und Hose. Frauen, die in prächtige Saris gehüllt sind und Frauen, die ihren ganze Körper mit einer schwarzen Burka bedecken. Und auch (wenige) westlich gekleidete Mädchen. Ein Großteil des Lebens scheint sich auf der Straße abzuspielen: Es wird auf dem bloßen Boden Wäsche gewaschen, Gemüse geschnippelt, Gebäck frittiert, geschnackt, gekehrt, gebettelt, Müll entsorgt und (das ist Männersache) in die Ecken gepinkelt. So viele Menschen, Schicksale, Gegensätze.

Von A nach B: Unterwegs mit U-Bahn, Rikscha und zu Fuß
Die U-Bahn ist sicher eines der zügigsten und günstigsten Verkehrsmittel, um in Delhi von A nach B zu kommen. Tipp: Fahrscheine am Automat und nicht am Schalter kaufen. Kleine Scheine bereit halten.  Zu zweit (Frau in Begleitung eines Mannes) haben wir uns relativ sicher gefühlt, obwohl die Anzahl der mitreisenden Männer deutlich in der Überzahl ist. Für Frauen gibt es gesonderte, rosa gekennzeichnete Abteile. Lediglich auf einer Fahrt haben wir uns sehr beengt und bedrängt gefühlt - es war wahrscheinlich zur Feierabendzeit auf einer viel befahrenen Strecke: Wie Heringe standen wir dicht an dicht gedrängt und hofften, dass wir unser Ziel bald erreichen würden.

Rikschafahrer bieten quasi immer und überall ihre Dienste an und wenn grad keine U-Bahn-Station in der Nähe ist und/oder es schon dunkel ist, sind die gelb-grünen Rikschas eine gute Alternative. Zum Glück ist Preisverhandlung Männersache. ;-) und mit dem schon gewohnten "Am Ende einigt man sich auf etwa die Hälfte des Startpreises" sind beide zufrieden - der Rikschafahrer, weil er sein defektes Taxameter nicht erklären muss und wir, weil es vergleichsweise günstig bleibt.

 

 


Zu Fuß sieht man natürlich am meisten. Das stimmt, aber ... Die Entfernungen zwischen den einzelnen Sehenswürdigkeiten und Stadtteilen sind groß. Wir haben viele Kilometer in den Beinen, als wir Delhi am Samstag-Nachmittag verlassen und möchten das stromern durch die quirligen Basargassen, die weiten Alleen rund um das India Gate und durch die Parkanlagen rund um den Safdarjang und durch den Lodhi Park nicht missen. Delhi zu Fuß zu erkunden, ist und bleibt aber illusorisch und auch wenig erstrebenswert.


Wir verlassen Delhi am Nachmittag des 09.12.2017 - 48 Stunden nach unserer Ankunft am Flughafen. In einem Zug aus dem Jahre anno dazumal haben wir es uns im geräumigen Vierbett-Abteil gemeinsam mit einer ruhigen indischen Familie gemütlich gemacht. Rajastan wir kommen.

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Kommentare: 1
  • #1

    paps (Sonntag, 07 Januar 2018 13:35)

    Frage mich, wie Ihr diese Unmengen an Eindrücken verarbeiten könnt. Himmel, was für Erlebnisse.