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Unterwegs in russischen Langstreckenzügen - Platzkartny bitte!

kurz vor elf (Moskau Zeit 06:00 Uhr morgens); am Baikalsee

Wir rollen im Zug weiter gen Osten. Gut 83 Stunden Zugfahrt im Langstreckenzug ( +5 Stunden Bus und 5,5 Stunden Regionalbahn) liegen seit Moskau hinter uns und wir sind auf dem Weg nach Ulan-Ude, Hauptstadt der Republik Burjatien und laut Reiseführer wohl eine der schönsten Städte Sibiriens. Die mongolische Grenze rückt unaufhaltsam näher und bald werden die BIrkenwälder der weiten Steppe weichen.
Manu macht ein Schläfchen - unsere  (und auch die der mitreisenden Russen) Lieblingsbeschäftigung während des Zugfahrens: Rausgucken, Datschen, Birken, kleine Siedlungen und weite Landschaften beobachten, wegnickern, Tee trinken, Hörbuch hören, lesen.  Heute schmückt der Baikalsee unsere linke Seite - ein geographisches Highlight der bisherigen Zugstrecke.
Die Stunden und Tage in den russischen Langstreckenzügen haben etwas sehr beruhigendes und wir sind fast ein bisschen wehmütig, dass dies vorerst unsere letzte Fahrt im Platzkartny-Abteil ist - bislang haben wir es nicht bereut, uns für die dritte Klasse entschieden zu haben:
Im Großraumabteil (54 Liegen - angeordnet in offenen Vierer-Abteilen links vom Gang, Zweier-Liegen längs am Gang) haben wir uns als einzige Ausländer durchaus wohl gefühlt, auch wenn die Kommunikation mit den Mitreisenden aufgrund der Sprachbarierre eher dürftig war. Google Translate und auch das klassische Wörterbuch haben sich als nützliche Begleiter erwiesen. Unsere Waggon-Mitreisenden waren auf allen Strecken von ruhiger Natur: junge Frauen und Mädels, alleinreisende Männer (wir nehmen an, dass sie zur Arbiet fahren oder von da nach Hause reisen), kleine Familien, russische Babuschkas. Von grölenden, vodka-trinkenden Männergruppen blieben wir verschont (aber auch die soll es geben, haben wir von zwei Deutschen gehört).

Auszug aus Anjas Tagebüchlein:
12.08.2017 - irgendwo zwischen Barabinsk und Ob - im sibirischen Tiefland.
Wir sitzen bzw. liegen seit fast 48-Stunden im Zug und rattern durch die weite, weite - immer wieder mit Birkenwäldern und Nadelbäumen verzierte Landschaft. Ab und zu hält der Zug an einem Bahnhof; meist in einer größeren Stadt. Dann freuen sich alle Reisenden darauf (insofern die Zeit bleibt), ein paar Minuten an der frischen Luft durchzuatmen und die Beine zu vertreten. Steht eine Babuschka am Bahnsteig, dann wird bei ihr eingekauft: Geräucherter Fisch, Piroggen, Himbeeren, eingelegte Gurken, Pelzmützen, Socken. Ist keine Babuschka in Sicht, so ist sicher ein kleiner Kiosk in Sicht: Eis, Wasser, Kekse, Instant-Nudeln - um über die Runden zu kommen, reicht das Angebot aus. Gestern Abend haben wir uns beim 35-minütigen Halt in Yekaterinburg einen frischen Kebap gegönnt: lecker! Ansonsten leben wir ganz gut vom Proviant aus dem kleinen Rollkoffer, der einfach nicht leerer und leichter werden möchte. So vergehen Stunde um Stunde. Uns gegenüber sitzen zwei junge Mädels, von denen ich meinen könnte, dass sie schon eine lange Zeit befreundet seien. Manus Vermutung hingegen ist, dass sie sich erst hier im Waggon kennen gelernt haben: Die beiden sind wahrscheinlich einfach nur froh, sich gegenseitig zu haben. In dieser Welt, in der doch so  viel mehr Männer als Frauen reisen und wo die Raucher als erstes aus dem Waggon strömen, um ihrer Sucht zu fröhnen, wenn sich die Abteiltüren wieder nach ein paar Stunen Fahrt an einem Bahngleis öffnen.

Wie spät ist es? Irgendetwas zwischen 11:25 und 15:45 Uhr/Moskau Zeit. Also noch ein paar Stunden später... Es spielt gerade keine Rolle. Jeder lebt in seinem eigenen Rhythmus und in seiner eigenen Zeit. Wenn wir Krasnojarsk erreichen, dann ist es gegen neun Uhr morgens.


Tipps für Transsib-Reisende:
  • Bucht die Tickets direkt auf der Webseite der russischen Staatseisenbahn: Hier sind sie am günstigsten und - vorausgesetzt man hat sich einmal in die russischen Buchungsmaske eingefuchst - ihr könnt selbst entscheiden, wo ihr sitzen wollt, also welche Klasse, welcher Waggon, ob mit oder ohne Klimaanlage, mit Tieren im Abteil oder ohne und natürlich exakt welche Plätze (siehe unten) ihr haben möchtet. Die Tickets sind nach dem Buchen im Kundencenter als PDF-Datei hinterlegt und können jederzeit abgerufen werden. Wir hatten unsere Tickets jeweils ausgedruckt in Papierform dabei und wurden von den Zugbegleitern nach Kontrolle von Pass und Tickets freundlich empfangen.
    Solltet ihr Fragen dazu haben, so schreibt uns - wir helfen euch gern!
  • Im Zug gibt es jeweils ein Set Einwegbettwäsche (2 Laken, Kopfkissenbezug, Handtuch). Decken, Kissen und Auflagen für die Liegen sind ebenfalls vorhanden. So fällt es relativ leicht, es sich gemütlich zu machen und schnell heimelig zu fühlen.
  • Fürs Gepäck steht ausreichend Platz zu Verfügung: je nachdem, ob ihr ein Bett oben oder unten gebucht habt, wird das Gepäck entweder in einer Kiste unter dem unteren Bett oder auf einer Art dritten Liege oberhalb des oberen Betten verstaut. Habt ihr Angst, dass euch etwas geklaut wird? Dann bucht das untere Bett - hier haben Diebe Nachts keine Chance, da ihr ja auf dem "Deckel" schlaft. Wir hatten jedoch nie ein unsicheres Gefühl in der Transib.

  • Oben oder unten? Unsere Empfehlung: Reist ihr zu zweit, dann bucht ein Bett oben und ein Bett unten. So habt ihr immer die Möglichkeit zu liegen - das obere Bett ist auch tagsüber ein wunderbarer Rückzugsort zum Liegen, Schmökern oder Dösen. Unten lässt es sich prima zu zweit sitzen.  Reist du alleine, dann solltest du dich ebenfalls für eines der unteren Betten entscheiden: Hier kannst du sitzen oder liegen, den kleinen Tisch nutzen und deinen Nachbarn von oben (insofern er dir sympatisch erscheint) auf einen Plausch nach unten einladen. Entscheidest du dich für das obere Bett, dann bist du quasi auf die Gunst deines unteren Mitreisenden angewiesen, was das Sitzen angeht. Anfänglich hatten wir überlegt, vielleicht zwei gegenüberliegende Plätze am Gang zu buchen - wir sind froh, uns dagegen entschieden zu haben: Hier ist deutlich weniger Platz verfügbar, auch wenn man sich theoretisch immer gegenüber sitzen könnte.

  • Noch ein Hinweis zu den Platznummern im Abteil: Auf unseren ersten beiden Fahrten hatten wir die Plätze 1 und 2 gebucht - also nah am Abteil des Schaffners und am Anfang des Waggons. Vorteil war, dass der (sich auf unseren Fahrten immer in Grenzen haltende) Lärm aus dem Waggons) nur aus einer Richtung gut vertragen lässt und die jungen / resoluten Provudnitsa ein Auge auf ihre ausländischen Schäfchen hatten. Samowar und Toilette sowie Steckdose (brauchten wir trotz 60 Stunden Zugfahrt nicht) sind um die Ecke. Ein Nachteil mag sein, dass aus eben genannten Dingen, natürlich Bewegung im Gang ist. Uns hat das nicht gestört. Wir nutzen es, um unsere Mitreisenden ausgiebig zu beobachten. Platz 5 und 6 scheinen immer als Lager für saubere und dreckige Wäsche zu dienen - hier sitzen also keine Reisenden, was es nochmals ruhiger auf den Plätzen 1 und 2 macht.

  • Alle russischen Fernzüge fahren nach Moskau-Zeit. Es is also sinnvoll mindestens eine Uhr oder Handy auch auf dieser zu belassen, um nicht den Überblick zu verlieren. Hier am Baikalsee sind wir der Moskauer Zeit mittlerweile schon fünf Stunden voraus.

  • Toilettenpapier, Flip-Flops, bequeme Kleidung, Desinfektionsgel, Proviant, Tasse, Besteck und Brettchen haben uns gute Dienste erwiesen :-)

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Kommentare: 4
  • #1

    Udo Obermann (Freitag, 25 August 2017 18:36)

    schöne Berichte - wir denken an euch -

  • #2

    Hannes Peter, fahrradfernreise.de (Donnerstag, 24 Mai 2018 14:57)

    Hallo Anja und Manuel,
    als ihr gerade nach Nassereith (vor dem Fernpass nach Füssen, Deutschland) mit dem Rad hineingefahren seid, haben wir uns am einer Infotafel getroffen und kurz geschnackt. Das Klo habe ich übrigens gleich gefundenen;) Jetzt habe ich mal euren Blog aufgerufen, in einer meiner Radlpausen. Ich bin heute in Kroatien eingereist, war eben wegen Ohrenschmerzen beim Arzt und gleich gehts auf die Insel Krk. Dieser Artikel hat mir sehr gefallen und gerade die Tipps am Ende sind gold wert, ich habe gleich Screenshots gemacht und werde noch welche machen:)
    Ich denke ihr hattet noch schöne Tage im Allgäu!? Alles Gute euch und besucht gerne mal meinen Blog, dann erfahrt ihr, wie meine Radreise ans Kaspische Meer verläuft;)
    Grüße von einem Sportplatz - nicht weit von der Adria! Hannes

  • #3

    Maja Forysiak (Samstag, 29 Februar 2020 23:01)

    Ein schöner Reisebericht, mit vielen praktischen Tipps!
    Der Hinweis mit dem Lärm in der Mitte des Wagons ist auf jeden Fall gut, obwohl - wenn man richtig mittig bucht, laufen da kaum Leute vorbei. Und - was auch nicht ohne Bedeutung ist - man ist weit entfernt von den Toileten, was sehr von Vorteil sein kann!
    Bei zwei mitreisenden Personen empfehle ich auch immer die 1x oben und 1x unten Konstellation, obwohl die meisten zuerst an 2x unten als die optimale Option denken. Nein! Es ist wirklich falsch, weil ihr dann den einen Platz tagsüber den beiden Passagieren von oben zur Verfügung stellen musst - das gehört zu den guten Sitten und Bräuchen der Transsib!
    Falls ihr euch Fotos und das Wagonschema ansehen wollt oder weitere Infos benötigt, findet ihr sie unter https://transsibirische-eisenbahn.eu/tickets/3-klasse/

  • #4

    Stephan (Freitag, 10 Februar 2023 00:58)

    Vielen Dank für diesen schönen Reisebericht. Ich bin 2004 allein als 17-Jähriger im Kupejnyj Wagon von Moskau nach Omsk gefahren. Meine Mitreisenden haben sich aufopferungsvoll um mich gekümmert. Die eine Omi machte mir morgens bspw. Brote und reichte sie mir nach oben auf die Pritsche nachdem ich aufgewacht bin. Russland ist so ein schönes Land mit so herzlichen Menschen! Obwohl der Zug wirklich alt war, ist es blitzsauber gewesen.