Die Tüftelei vom vorherigen Tag scheint sich ausgezahlt zu haben: Wir fahren mit dem Zug auf der "alten" Transsib-Strecke von Sljudianka nach Port Baikal. Was bei den Touranbietern in Irkutsk
umgerechnet ca. 60 € pro Person kosten soll (inkl. Stopps auf dem Weg), erfahren wir in Minibus (Fahrt von Irkutsk nach Sljudianka/2,50 € pro Person) und Regionalbahn (Sljudiana nach Port Baikal
/ ca. 2 € pro Person für eine fünfstündige Panorama-Zugfahrt). Wir erreichen die kleine Stadt Sljudianka gegen 12:00 Uhr, halb zwei soll der Zug abfahren. So bleibt Zeit für einen kleinen
Spaziergang zur Holzkirche und zum Lädchen sowie für einen Kaffee in der kleinen Bahnhofskantine. Am Gleis erleben wir dann noch eine Überraschung: der chinesische Transsib Zug rollt auf seinem
Weg von Moskau nach Peking vorbei. Aus den Fenstern ein großes Ah und Oh - die Spiegelreflexkameras und Teleobjektive sind gezückt und es winken und asiatisch anmutende Reisende ... Exotik macht
sich auf dem Bahnsteig breit. Baikalsee - Peking! Wenn man mir früher im Geographie-Unterricht gesagt hätte, dass ich diese fernen Ziele auch mal bereisen würde, hätte ich sicher ganz ungläubig
den Kopf geschüttelt.
Ein paar Minuten später rollt unser kleiner, bescheidener Zug ein: Zwei Waggons und eine Lok. Freie Platzwahl. Wir wählen heute die Zweierkombination auf der rechten Seite vom Gang - Seeblick
inklusive. Wieder einmal reisen fast ausschließlich Russen mit uns im Zug: Viele junge Leute mit mannsgroßen Rucksäcken (Zelt, Isomatten, Schlafsäcke) fahren fürs Wochenende raus an den See. Die
Circum Baikal Railway ist ein beliebte Strecke zum Wandern. Wir sind ein bisschen überrascht von so viel Ambitionismus - die Rucksäcke der Jugendlichen wirken teilweise schwerer als ihre
Besitzer. Russen scheinen ein zähes Völkchen zu sein. Immer entlang des Ufers führt uns die vor uns liegende fünftündige Fahrt mit dem Bähnchen: Durch 39 Tunnel, über Brücken und Viadukte, vorbei
an Urlaubshäusern und Ferienhaussiedlungen, einfachen Datschen, Fischerbooten, Zelten und Rastplätzen. Mit scharfem Auge erspäht Manu sogoar zwei Baikalrobben, die sich am Steinstrand in der
Sonne aalen. Wir lernen Darja (studiert in Passau, gebürtig aus Krasnojarsk) und Alex (Informatiker, lebt ebefall in Passau) kennen - ein ungleiches Pärchen, Beim Kennenlernen ahnen wir noch
nicht, dass wir heute in Port Baikal gemeinsam in höchst seltsamer Umgebung (mangels Alternative) verbringen werden. Später am Abend sind wir froh, dass uns Darja mit ihrer Muttersprache hilft,
eine Bleibe zu finden.
Die Zugfahrt gen Norden ist eine gute Einstimmung auf das, was uns in den kommenden Tagen noch weiter begleiten wird: Die unendliche Weite und Größe des Baikalsees. Rausgucken, Beobachten, ab und
zu kurz an den Haltestellen aussteigen. Je näher wir unserem Ziel kommen, umso leerer wird das Züglein. Von unseren Mitreisenden nehmen die meisten die letze Fähre zum gegenüberliegenden Ufer
nach Listwianka - ein touristisch gut erschlossener Ort. Wir bleiben jedoch in Port Baikal und schlafen für 400 Rubel/Person bei Dimitrij im alten Lädchen: Ein großer Raum mit sechs Betten.
Bettwäsche gibt es nicht (wir sind froh, unsere Schlafsäcke dabei zu haben) - aber dafür heißen Tee aus sibirischen Kräutern und Hagebutten. Ein Plumpsklo, in dem die Würmer schwimmen und die
Fäkalien bis zum Himmel stinken, viel Unrat rund ums Haus und Müll. Wie gut, dass wir nicht alleine in diesem spukigen Haus sind. Im Zimmer nnebenan hat sich noch eine russische Wandergruppe
einquartiert und Darja und Alex sind ebenfalls geblieben. Beim gemeinsamen Spaziergang zu einem rostigen Leuchtturm oberhalb der kleinen Siedlung schauen wir uns das verlassene Elend Port Baikal
von oben an: Schienen, restauriertes Bahnhofsgebäude, intakte und schon seit langen nicht mehr intakte Boote, Kähne und Dampfer. In der Bahnhofskantine bekommen wir kurz vorm Schließen noch eine
Schüssel heißen Borschtsch (russische Suppe mit Kartoffel, Roter Beete, Gemüse und Fleisch) - die resolute Oma an der Theke ist wenig erfreut, als vier hungrige Touristen aufschlagen... man ist
schon dabei, die Küche aufzuräumen und die Lokalität zuschließen. Ein echte russische Babuschka lässt aber niemanden stehen - so bekommen wir noch vier Schüsseln Suppe. Mit dem Blick auf den See
und hinein in die Nacht, die Schiffe im Rücken sitzen wir später bei einer Flasche Bier auf einer Bank am teg: Wie können die Menschen hier bloß leben? Am Ende ist ein jeder doch irgendwie seines
eigenen Glückes Schmied. Ich freue mich darauf, morgen in der Früh auf die andere Seite der Angara überzusetzen. Selten hat mich auf Reisen ein so mulmiges Gefühl in den Schlaf begleitet - wir
fühlen uns in Port Baikal irgendwie nur wenig willkommen.
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anna (Sonntag, 27 August 2017 11:03)
klingt so, als könnte man um den ort wirklich getrost einen bogen machen... habe ich jetzt schon in mehreren blogs gelesen. so wie es geschrieben ist, klingt es trotzdem nach einer spannenden und einmaligen erfahrung. viel spaß weiterhin!